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Jahresende 2024: Konjunkturelle Schwäche verstärkt strukturelle Belastungen in der Industrie

Die deutsche Wirtschaft hat im Sommerhalbjahr weiter an Boden verloren. Weiterhin schwach entwickelten sich vor allem die Exporte, die gegenüber dem Welthandel zurückbleiben. Verbunden damit sind die Investitionen erneut zurückgegangen. Die geringe Nachfrage belastet die Unternehmen, deren Auftragsbestände schwinden und Kapazitätsauslastung niedrig ist. Dies gilt insbesondere für den Kraftfahrzeugbau und die energieintensiven Industrien. Dagegen wurde der private Konsum mit 0,3% gegenüber dem Vorquartal recht deutlich ausgeweitet. Die privaten Haushalte scheinen allmählich die steigenden Realeinkommen zu spüren, so dass sie bereit sind, ihre Ausgaben wieder zu erhöhen. Die Stagnation des BIP geht zwar in der Industrie mit einem zunehmenden Stellenabbau einher. Bisher ist dieser aber nicht stärker als in früheren wirtschaftlichen Schwächephasen. Ein Grund für diese Stabilität dürfte sein, dass viele Unternehmen angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels versuchen, ihre Beschäftigten länger zu halten als in früheren Schwächephasen. Zudem konnte bislang der Verlust an Arbeitsplätzen in der Industrie durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze in den Dienstleistungsbereichen kompensiert werden. Mit Blick auf den Bruch der Ampel-Koalition und die vorgezogenen Neuwahlen ist zu erwarten, dass die wirtschaftspolitische Unsicherheit, die in Deutschland bereits seit einiger Zeit deutlich höher ist als in vielen anderen Ländern, in jüngster Zeit nochmals zugenommen hat. Neben den fortdauernden geopolitischen Konflikten dürfte auch die Unklarheit über den zukünftigen wirtschaftspolitischen Kurs der US-amerikanischen Administration dazu beitragen. Die konjunkturelle Schwäche hält voraussichtlich noch bis zum Frühjahr des kommenden Jahres an. Erst wenn klarer wird, wie die wirtschaftspolitischen Weichen diesseits und jenseits des Atlantiks gestellt werden, dürfte die Unsicherheit abnehmen und die Nachfrage stärker ausgeweitet werden. Vor diesem Hintergrund erwarten wir zum Jahresende nochmals einen leichten Rückgang des BIP. Im Jahresdurch-schnitt ergibt sich in diesem Jahr ein Rückgang des BIP von 0,2%. Für den Verlauf des kommenden Jahres erwarten wir eine leichte Belebung der Produktion. Im Ein-klang mit dem erwarteten Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Unsicherheit dürfte die Binnennachfrage wieder etwas stärker ausgeweitet werden. Der private Konsum wird zudem von den steigenden real verfügbaren Einkommen gestützt. Angesichts weiter sinkender Zinsen dürften auch die Investitionen allmählich wieder ausgeweitet werden. Wir erwarten für das kommende Jahr einen jahresdurchschnittlichen Anstieg des BIP um 0,6%. Im Jahr 2026 beträgt der Anstieg voraussichtlich 1,3%. Vorerst ist kein Beschäftigungsaufbau zu erwarten; erst im Laufe des kommenden Jahres dürfte die Arbeitslosigkeit etwas zurückgehen. Es ist damit zu rechnen, dass die jahresdurchschnittliche Arbeitslosenquote von voraussichtlich 6,0% im Jahr 2024 zunächst auf 6,1% im Folgejahr steigen und auf 5,9% im Jahr 2026 sinken wird. Im laufenden Jahr dürfte das gesamtstaatliche Defizit mit knapp 107 Mrd. Euro in etwa auf dem Niveau des Vorjahrs verbleiben. Im kommenden Jahr dürfte es auf gut 87 Mrd. Euro zurückgehen. Für das Jahr 2026 rechnen wir wieder mit einem etwas höheren Finanzierungsdefizit von knapp 92 Mrd. Euro.

Schmidt, T., N. Benner, B. Blagov, E. Coschignano, M. Dirks, N. Isaak, R. Jessen, F. Kirsch, S. Kotz und C. Krause (2024), Jahresende 2024: Konjunkturelle Schwäche verstärkt strukturelle Belastungen in der Industrie. RWI Konjunkturberichte, 75, 4, 32-67

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