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RWI Konjunkturberichte

2012

Roland Döhrn, Philipp David An de Meulen, György Barabas, Heinz Gebhardt, Tobias Kitlinski, Martin Micheli, Torsten Schmidt, Simeon Vosen, Lina Zimmermann

Die wirtschaftliche Entwicklung im Inland: Konjunktur wieder im Aufwind

Die deutsche Konjunktur hat sich im Jahresverlauf 2011 spürbar abgekühlt. Im Jahresdurchschnitt ist das BIP zwar um 3% gestiegen. Im vierten Quartal nahm die Wirtschaftsleistung jedoch um 0,2% gegenüber dem Vorquartal ab. Zu der Verlangsamung trug in erster Linie das sich verschlechternde außenwirtschaftliche Umfeld bei. Allerdings wuchs zuletzt auch die inländische Verwendung kaum noch. Jedoch scheint Deutschland nur eine vorübergehende Schwächephase zu durchlaufen. So blieb der jüngste Produktionsrückgang weitgehend auf das Verarbeitende Gewerbe beschränkt, während die Wertschöpfung im Dienstleistungssektor fast ungebremst expandierte. Da inzwischen der Welthandel allem Anschein nach kräftiger ausgeweitet wird und sich die Stimmung der Unternehmen verbessert hat, dürfte die Industrieproduktion weiter zunehmen. Dafür spricht auch, dass die Beschäftigung bis zuletzt ausgeweitet wurde. Im Prognosezeitraum dürfte sich die Konjunktur beleben. Zwar überwiegen vorerst noch belastende Faktoren. So bleibt wohl die Nachfrage der europäischen Handelspartner schwach, und die Verunsicherung der Unternehmen dämpft die Investitionstätigkeit. Im ersten Quartal dürfte das BIP daher nur wenig steigen. Bei einem sich bessernden außenwirtschaftlichen Umfeld nehmen die Ausfuhren aber Fahrt auf. Zudem sind die internen Auftriebskräfte intakt. Die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte werden voraussichtlich deutlich steigen, da die Beschäftigung weiter wächst und die Löhne kräftiger angehoben werden als zuletzt. Dies wirkt positiv auf die privaten Konsumausgaben und die Wohnungsbauinvestitionen, wobei letztere auch von den niedrigen Zinsen begünstigt werden. Alles in allem erwarten wir, dass das BIP 2012 im Jahresdurchschnitt um 1,0% steigen wird. Im kommenden Jahr dürfte der Aufschwung mit zunehmender Kapazitätsauslastung die Ausrüstungsinvestitionen und den Wirtschaftsbau erfassen. Zudem dürfte die Außenwirtschaft bei lebhafterer Weltkonjunktur einen Beitrag zum Wachstum des BIP leisten. Das BIP wird vor diesem Hintergrund um 2,0% zunehmen. Der Preisauftrieb wird sich voraussichtlich abschwächen; dabei unterstellen wir, dass die aus dem jüngsten Anstieg der Rohstoffpreise resultierenden Wirkungen auf das Preisniveau auslaufen. Zugleich dürfte sich aber die Kerninflation erhöhen, da die Lohnstückkosten weiter steigen und die Geldpolitik expansiv ausgerichtet bleibt. Wir erwarten eine Inflationsrate von 2,2% für dieses und eine von 1,9% für das kommende Jahr, womit die Preissteigerungen über dem Durchschnitt der Jahre seit Beginn der Währungsunion lägen. Der Beschäftigungsaufbau wird sich in diesem Jahr voraussichtlich vorübergehend verlangsamen. Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte um 290 000 im Verlauf dieses Jahres und um nochmals 340 000 im nächsten Jahr zunehmen. Ein Teil des Zuwachses wird wohl aus der Stillen Reserve stammen. Die Arbeitslosigkeit wird unterproportional abnehmen (175 000 bzw. 250 000 im Jahresverlauf). Im Jahresdurchschnitt werden die Arbeitslosenquoten 6,6% bzw. 6,1% betragen. Die Lage der öffentlichen Haushalte wird sich im Prognosezeitraum voraussichtlich leicht verbessern. Das Budgetdefizit des Staates dürfte in diesem Jahr von 25 auf 17 Mrd. € sinken (1,0% bzw. 0,7% in Relation zum BIP). Für das kommende Jahr ist mit einem Rückgang auf 8 Mrd. € (0,3%) zu rechnen. Etwas günstigere Perspektiven für die Weltwirtschaft und eine leichte Entspannung an den Finanzmärkten haben uns dazu bewogen, die Prognose für 2012 gegenüber der vom Dezember 2011 anzuheben. Die Risiken für die Konjunktur bleiben aber groß: Die Lage an den Finanzmärkten ist labil. Zudem hat die expansiv ausgerichtete Geldpolitik die Inflationsgefahren zunehmen lassen. Besonders riskant erscheint in diesem Zusammenhang, dass einzelnen Notenbanken erlaubt wurde, individuell die Sicherheiten festzulegen, die Geschäftsbanken im Rahmen der Refinanzierung hinterlegen müssen. Damit wurde das Grundprinzip einer einheitlichen Geldpolitik in einer Währungsunion verletzt. Risiken resultieren weiterhin aus der Staatsschuldenkrise im Euro-Raum. Die Bemühungen zu deren Lösung konzentrieren sich auf zwei Handlungsfelder: Zum einen sollen die Rahmenbedingungen für solide Staatsfinanzen verbessert, zum anderen die Reaktionsmöglichkeiten auf akute Refinanzierungsprobleme von Staaten erhöht werden. Durch die Verabschiedung härterer Regeln bei übermäßigem Defizit, die Verankerung von Schuldenbremsen in den Verfassungen und die Gründung des ESM wurden hier Fortschritte erzielt. Fraglich ist, ob diese ausreichen. Die aufgelaufenen Staatsschulden sind hoch, und deren Refinanzierung ist auch nach Umsetzung der Reformen nicht gesichert. Einen geordneten Abbau der Schulden könnte ein Schuldentilgungsfonds ermöglichen, wie ihn der Sachverständigenrat vorgeschlagen hat.

Döhrn, R., P. An de Meulen, G. Barabas, H. Gebhardt, T. Kitlinski, M. Micheli, T. Schmidt, S. Vosen und L. Zimmermann (2012), Die wirtschaftliche Entwicklung im Inland: Konjunktur wieder im Aufwind. RWI Konjunkturberichte, 63, 1, 43-99

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