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RWI Positionen #44

2011

Boris Augurzky, Stefan Felder, Alois Tinkhauser

Perspektiven des Gesundheitssektors: Wachstumsmotor oder Milliardengrab?

Der Gesundheitssektor ist ein wichtiger Motor der deutschen Wirtschaft. Die demografische Entwicklung, medizinisch-technischer Fortschritt und höherer Wohlstand haben dazu geführt, dass die Ausgaben für Gesundheit in den vergangenen Jahrzehnten überproportional gestiegen sind. Seit 1992 ist ein jährlicher Anstieg der Gesundheitsausgaben von durchschnittlich 3,3% zu verzeichnen. Der durchschnittliche Beitragssatz zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stieg aus diesem Grunde in den vergangenen 10 Jahren von 12,5% auf 15,5% an. Vieles spricht für weiteres Wachstum der Gesundheitsausgaben: Erstens wirkt die Alterung der Bevölkerung Ausgabensteigernd; zweitens führt der medizinisch-technische Fortschritt zu steigender Nachfrage nach Gesundheitsleistungen; drittens ist bei einem weiter wachsenden Wohlstand davon auszugehen, dass vom individuellen Einkommen relativ mehr für Gesundheitsleistungen ausgegeben wird. Gleichzeitig nimmt die Zahl derer ab, die das Gesundheitswesen finanzieren. Ohne Änderungen am Status quo wird sich eine erhebliche Finanzierungslücke auftun. Modellgestützt schätzen wir ihr Volumen auf rund 40 Mrd. € bis 2020 und auf über 90 Mrd. € bis 2030. Zur Schließung dieser Lücke müsste der allgemeine Beitragssatz zum Gesundheitsfonds von derzeit 15,5% auf 19,4% bis 2020 und auf 23,8% bis 2030 anwachsen. Diese Schätzungen machen deutlich, dass die GKV in den nächsten 20 Jahren grundlegend reformiert werden muss. Sie sollte sich zu einer Basisversicherung wandeln und die Absicherung der Ausgaben für die neuen Möglichkeiten der Medizin der privaten Zusatzversicherung überlassen. Damit der Wachstumsmotor Gesundheitswesen nicht zum Milliardengrab wird, sind auch Maßnahmen auf Seiten der Leistungserbringer notwendig. Dazu zählen im Bereich der stationären und ambulanten Akutversorgung erstens, dass Kassen künftig selektiv mit einzelnen Leistungserbringern über Preise und Qualität verhandeln können; zweitens, dass die detaillierte Krankenhausplanung auf eine Versorgungsplanung mit Kontrollfunktion beschränkt wird; drittens, dass ein standardisiertes, bundesweit einheitliches Informationssystem zur Behandlungsqualität etabliert wird; viertens, dass die Grenze zwischen ambulantem und stationärem Sektor durch Wettbewerb zwischen den Sektoren abgebaut wird; und fünftens; dass in Regionen mit geringer Bevölkerung alternative Versorgungskonzepte etabliert werden. Auch in der Pflege sowie bei Arzneimitteln und Apotheken sind effizienzsteigernde Reformen notwendig.