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RWI Positionen #43

2011

Boris Beimann, Rainer Kambeck, Tanja Kasten, Lars-H. R. Siemers

Wer trägt den Staat? Eine Analyse von Steuer- und Abgabenlasten

In der Diskussion um ein „gerechtes“ Steuer- und Abgabensystem ist häufig zu hören, dass in Deutschland die „Mittelschicht“ übermäßig stark belastet wird und „Spitzenverdiener“ zu wenig zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen. Diese RWI Position unterzieht die öffentliche Wahrnehmung einer „ungerechten“ Lastenverteilung einer empirischen Überprüfung. Hierzu wird die im Jahr 2010 herrschende Verteilung der Belastungen durch direkte und indirekte Steuern sowie durch Sozialversicherungsbeiträge auf der Basis von repräsentativen Mikrodaten geschätzt. Es zeigt sich, dass die Haushalte aus dem mittleren Einkommensbereich tatsächlich den größten Beitrag zum Gesamtaufkommen der direkten, der indirekten Steuern und der Sozialversicherungsbeiträge leisten. Ihr hoher Finanzierungsanteil resultiert dabei aus der Tatsache, dass diese Haushalte zahlenmäßig in Deutschland am stärksten vertreten sind. Die höchsten Finanzierungslasten schultern jedoch die 10% der Haushalte mit den höchsten Einkommen – sowohl bei den Steuern als auch bei den Abgaben. Bei der Einkommensteuer tragen diese Haushalte sogar mehr als die Hälfte des Aufkommens. Die Analyse individueller Belastungsquoten bestätigt den progressiven Charakter des Steuer- und Abgabensystems: Der progressive Verlauf des Einkommensteuertarifs hat zur Folge, dass die durchschnittliche Belastung der Einkommensteuer zunimmt. Die Unterschiede zwischen den Einkommensbereichen sind dabei relativ gering. Die Sozialversicherungsbeiträge wirken aufgrund der Beitragsbemessungsgrenze im Gegensatz zum Einkommensteuertarif regressiv. Auch hier sind insbesondere die Haushalte in den mittleren Einkommensbereichen belastet. Bei den indirekten Steuern weisen die Haushalte mit den niedrigsten Einkommen die höchsten Belastungsquoten auf, was auf den regressiven Charakter von Verbrauchsteuern zurückzuführen ist. In der Gesamtschau dominiert jedoch der progressive Effekt der Einkommensteuer. Wer trägt also den größten Finanzierungsanteil: Sind es die Haushalte mit den höchsten individuellen Belastungen oder jene mit dem größten Finanzierungsanteil am Gesamtsteueraufkommen? Ist die Verteilung der Belastungen „gerecht“? Ohne subjektives Werturteil wird man keine Antwort auf diese Fragen formulieren können. Aber ohne Kenntnis der in dieser RWI Position dargestellten Fakten über die Verteilung der Steuer- und Abgabenlast in Deutschland steht jedes Werturteil auf tönernen Füßen.