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RWI Konjunkturberichte

2011

Roland Döhrn, György Barabas, Heinz Gebhardt, Tobias Kitlinski, Martin Micheli, Torsten Schmidt, Simeon Vosen, Lina Zimmermann

Die wirtschaftliche Entwicklung im Inland: Feste Konjunktur in unsicherem Umfeld

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem kräftigen Aufschwung. Das BIP ist 2010 um 3,6% gewachsen – die höchste Rate seit der Wiedervereinigung. Wesentliche Impulse kamen aus dem Ausland, da sich an den dramatischen Einbruch des Welthandels im Jahr 2009 eine Phase seiner Normalisierung anschloss. Diese Impulse übertrugen sich auf die Inlandsnachfrage. Bei verbesserten Absatzaussichten nahm die Investitionsneigung der Unternehmen zu, und die günstigen Arbeitsmarktperspektiven stärkten den privaten Konsum. Gefördert wurde all dies durch das historisch niedrige Zinsniveau. Dieses trug dazu bei, dass die Wohnungsbauinvestitionen kräftig ausgeweitet wurden. Allerdings hat das Aktivitätsniveau vielfach noch nicht den Stand vor Ausbruch der Finanzkrise erreicht. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Situation am Arbeitsmarkt überraschend günstig dar. Die Zahl der Erwerbstätigen liegt bereits um mehr als 300 000 über dem Höchststand vor der Finanzkrise und die Zahl der registrierten Arbeitslosen ist auf den niedrigsten Stand seit 1992 gesunken. Ein Schatten auf den Aufschwung wirft der Preisanstieg: Im Februar betrug die Inflationsrate 2,0%, worin sich in erster Linie der Anstieg der Rohstoffpreise bemerkbar machte. Jedoch ist inzwischen auch ein Anziehen der Kerninflation festzustellen. So wie die niedrigen Zinsen der EZB derzeit den Aufschwung unterstützen, so begünstigt die expansive Geldpolitik die Teuerung. Indikatoren deuten darauf hin, dass die Wirtschaft gut in das neue Jahr gestartet ist. Für den weiteren Verlauf des Jahres erwarten wir ein robustes, wenngleich leicht nachlassendes Produktionswachstum. Nennenswerte Impulse kommen zunächst noch aus dem Ausland; sie werden indes geringer. Auch die Inlandsnachfrage verliert etwas an Tempo. Bei den Ausrüstungsinvestitionen dürfte – nachdem während der Finanzkrise aufgeschobene Investitionen nachgeholt wurden – eine Normalisierung eintreten. Kräftig expandieren wird insbesondere der Wohnungsbau, für den die Rahmenbedingungen ausgesprochen günstig sind. Auch die privaten Konsumausgaben werden voraussichtlich mit deutlich höheren Raten wachsen als im Durchschnitt des vergangenen Jahrzehnts. Wir erwarten einen Zuwachs des BIP um 2,9% für dieses und um 2,4% für kommendes Jahr. Die Lage am Arbeitsmarkt dürfte sich dabei weiter verbessern. Die Zahl der Erwerbstätigen wird im Jahresdurchschnitt 2011 voraussichtlich um knapp 500 000 und 2012 nochmals um fast die gleiche Zahl zunehmen. Die Arbeitslosenquote könnte damit deutlich unter 6% sinken. Dadurch wird es für die Unternehmen schwieriger, qualifiziertes Personal zu finden, so dass die Effektivlöhne und damit auch die Lohnstückkosten zunehmen. Belastend wirkt die weiter anziehende Inflation. Getrieben wird sie vorerst durch die Rohstoffpreise. Zudem dürften aufgrund der angespannten Finanzlage der Gemeinden kommunale Gebühren und Abgaben weiter angehoben werden. Unter den hier getroffenen Annahmen eines konstanten Rohölpreises dürfte der Preisauftrieb seitens der Energieträger im Verlauf des Prognosezeitraums nachlassen. Allerdings steigt bei zunehmender Kapazitätsauslastung voraussichtlich auch die Kerninflation. Wir erwarten eine Inflationsrate von 2,5% für dieses und 2,4% für kommendes Jahr. Die Lage der öffentlichen Haushalte wird sich unter diesen Rahmenbedingungen spürbar verbessern. Im vergangenen Jahr lag das Haushaltsdefizit mit 3,3% in Relation zum BIP zwar über dem Referenzwert des Maastrichter Vertrages. Es war aber bei weitem nicht so stark gestiegen wie vor einem Jahr prognostiziert. Die Defizitquote dürfte auf 1,8% bzw. 0,6% sinken. Für die Finanzpolitik sind die Rahmenbedingungen günstig, um die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte weiter voranzutreiben und die Einhaltung der Schuldenbremse im Jahr 2016 sicherzustellen. Denn dies wird durch das Zukunftspaket nicht ganz erreicht. Schwierig ist die Situation für die Geldpolitik. Die EZB orientiert sich an den Bedingungen im Euro-Raum insgesamt, in dem die Wirtschaft stark unterschiedlich wächst. Hinzu kommt, dass sich die Refinanzierungsbedingungen im Bankensektor zwar verbessert, aber immer noch nicht normalisiert haben. Die EZB hat die Märkte inzwischen auf einen baldigen Zinsschritt vorbereitet. Für das Ende des Prognosezeitraums erwarten wir einen Leitzins von 2,5%. Eine große wirtschaftspolitische Herausforderung ist die Zukunft des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Bei seiner Neugestaltung sollten die Verantwortlichkeit der einzelnen EWU-Länder für ihre Staatsfinanzen gestärkt und die Anreize für eine solide Haushaltsführung vergrößert werden.

Döhrn, R., G. Barabas, H. Gebhardt, T. Kitlinski, M. Micheli, T. Schmidt, S. Vosen und L. Zimmermann (2011), Die wirtschaftliche Entwicklung im Inland: Feste Konjunktur in unsicherem Umfeld. RWI Konjunkturberichte, 62, 1, 39-94

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