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Subtil gegen den Fleischkonsum

Was auf Speisekarten in Restaurants oben steht, wird auch öfter gewählt. Verhaltensökonomen untersuchen schon länger, ob sich durch Änderung der Rangfolge der Fleischkonsum reduzieren lässt. Und? Ein Gastbeitrag.

„Normal, oder mit Fleisch?“ – diese Frage hörten Kundinnen und Kunden Anfang Juli bei der Bestellung in einer Wiener Burger-King-Filiale. Zugleich stellte die Fastfoodkette ihre Speisekarte in Österreich um, inzwischen gibt es fast das gesamte Sortiment auch auf pflanzlicher Basis. Mit der Kampagne soll „fleischloser Genuss zur festen Größe auf der Speisekarte werden“, sagt der zuständige Marketingchef.

Versuche, vegetarische oder vegane Ernährung zur „Normalität“ zu machen, gibt es immer wieder. Und immer wieder sorgen sie für hitzige Diskussionen, wie etwa der Vorstoß der Grünen im Bundestagswahlkampf von 2013, einen „Veggie-Day“ als Standard einzuführen. Dass das Thema Ernährung zum Politikum geworden ist, liegt insbesondere an seiner großen Relevanz für das Klima: Laut Berechnungen der Welternährungsorganisation FAO ist allein die Viehwirtschaft für knapp 15 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Die Hauptgründe dafür liegen in der Futtermittelproduktion und der damit verbundenen Abholzung von Wäldern sowie im Methanausstoß von Kühen. Eine Publikation in der renommierten Fachzeitschrift Science kam 2020 zu dem Ergebnis, dass allein die Treibhausgase aus dem globalen Lebensmittelsystem das Einhalten der Pariser Klimaziele fast unmöglich machen – selbst wenn jeglicher Verbrauch fossiler Brennstoffe sofort gestoppt würde.

Es gäbe also einen guten Grund, den Konsum tierischer Produkte zu reduzieren. Allerdings sind gesetzliche Beschränkungen oder höhere Steuern auf Fleisch in den meisten Ländern politisch schwer vorstellbar. Es gibt jedoch auch mildere Mittel, die von öffentlichen Einrichtungen oder von privaten Akteuren ausgehen könnten – zum Beispiel die Priorisierung pflanzenbasierter Gerichte auf Speisekarten in Kantinen und Restaurants. Solche verhaltensökonomischen Instrumente zielen darauf ab, ein gewünschtes Verhalten zu fördern, ohne die Möglichkeit anderer Verhaltensweisen einzuschränken. Welchen Effekt solche Ansätze haben können, haben Johanna Meier, Mark Andor, Friederike Doebbe, Neal Haddaway und Lucia Reisch in einer Untersuchung von zwölf empirischen Studien ausgewertet.

 

Von der fleisch- zur pflanzenbasierten Option

Das Ergebnis der Metastudie, die kürzlich in der Fachzeitschrift Food Policy erschienen ist: Die Veränderung sogenannter Standardeinstellungen („Defaults“) von der fleisch- zur pflanzenbasierten Option ist häufig sehr effektiv. So zeigte zum Beispiel ein Feldexperiment im Rahmen einer Konferenz in Kopenhagen, dass Teilnehmende fast immer die im Anmeldeformular voreingestellte Menüoption wählten – unabhängig davon, ob es die vegetarische oder nicht-vegetarische Option war. In der ersten Gruppe, bei der das vegetarische Buffet als Standard voreingestellt war, wählten 87 Prozent diese Option, obwohl auch ein Gericht mit Fleisch auswählbar war. In der zweiten Gruppe, bei der das nicht-vegetarische Buffet als Standardoption erschien, wählten nur zwei Prozent stattdessen ein vegetarisches Gericht.

Dass solche Maßnahmen auch in Restaurants funktionieren können, macht ein achtwöchiger Versuch in einem Lokal in Göteborg deutlich: Dort wurde das Tagesmenü so umgestellt, dass zuerst das vegetarische Gericht und dann ein Fischgericht präsentiert wurden, gefolgt von dem Hinweis, dass auf Wunsch ein Fleischgericht verfügbar ist. In der Folge vervierfachte sich der Anteil der Gäste, die das vegetarische Gericht wählten, von 3,5 auf 15 Prozent. Der Anteil der Gäste, die das Fleischgericht wählten, sank von 46 auf 21 Prozent.

Wie effektiv diese Defaults sind, hängt insbesondere davon ab, wie aufwändig es ist, von der als Standard präsentierten Option abzuweichen und wie die verschiedenen Optionen präsentiert werden. Die Verhaltensforschung zeigt, dass Menschen nicht nur zur Bequemlichkeit neigen, sondern auch dazu, sich sozial anzupassen. Bislang bestehen die sozialen Konventionen beim Essen in Deutschland, zumindest jenseits hipper Großstadtviertel, weiterhin zum Großteil aus Fleisch: Die Vorstellung eines vollständigen Gerichts als „Fleisch plus Beilage“ ist in den Köpfen vieler Menschen – und in den Restaurants und Kantinen des Landes – noch fest verankert.

 

Ernährung als emotionales Thema

Zweifellos liegt etwas Paternalistisches in dem Bestreben, Menschen zu einer vermeintlich richtigen Entscheidung zu bewegen. Gerade beim Thema Ernährung werden dabei häufig emotionale Reaktionen hervorgerufen. Eine pflanzenbasierte Ernährung ebenfalls als „normal“ zu begreifen und darzustellen, wäre ein erster Schritt in Richtung einer klimafreundlicheren Ernährungsweise. Die betrachteten Studien machen deutlich, dass dies bereits große Effekte haben kann.

Darüber hinaus zeigen Untersuchungen, dass auch die Verringerung der Menge an Fleisch pro Portion eine effektive Stellschraube sein kann, um den Fleischkonsum zu reduzieren und den Verzehr pflanzlicher Kost zu erhöhen. Denn auch der Standard für das „richtige“ Verhältnis aus Fleisch und pflanzlichen Zutaten ist nicht naturgegeben, sondern folgt – in Regionen und Kulturen unterschiedlichen – gesellschaftlichen Konventionen.

Wenn die Klimaziele überhaupt noch erreichbar bleiben sollen, werden wir als Gesellschaft über eine Veränderung dieser Konventionen diskutieren müssen. Neben dem Klimaschutz gibt es dafür mindestens zwei weitere Gründe: das Tierwohl und die eigene Gesundheit. Zahlreiche Studien zeigen, dass insbesondere der Verzehr von zu viel rotem Fleisch ein Gesundheitsrisiko darstellt. Die interdisziplinär besetzte EAT-Lancet-Kommission hat vor wenigen Jahren vorgeschlagen, wie eine nachhaltige und zugleich gesunde globale Ernährung aussehen könnte: Demnach sollte etwa der wöchentliche Verzehr von Rind-, Lamm- oder Schweinefleisch auf knapp 100 Gramm pro Person reduziert werden. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Pro-Kopf-Konsum allein von Schweinefleisch bei rund 600 Gramm pro Woche.

Mark A. Andor leitet die Forschungsgruppe „Prosoziales Verhalten“ am RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Leonard Knollenborg ist stellvertretender Leiter der Kommunikationsabteilung (kommissarisch) und Wissenschaftler am RWI. Johanna Meier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Bochum und Junior Researcherin am Ecologic Institut in Berlin. Lucia Reisch ist Professorin an der Universität Cambridge und leitet das El-Erian Institute of Behavioural Economics and Policy an der Judge Business School.

Zum Gastbeitrag auf faz.net