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RWI Konjunkturberichte

2010

Roland Döhrn, György Barabas, Heinz Gebhardt, Tobias Kitlinski, Martin Micheli, Torsten Schmidt, Simeon Vosen, Lina Zimmermann

Die wirtschaftliche Entwicklung im Inland: Expansion gewinnt nur langsam an Fahrt

Die Erholung der deutschen Wirtschaft ist gegen Ende des Jahres 2009 ins Stocken geraten. Nach einer spürbaren Ausweitung im Sommerhalbjahr stagnierte die gesamtwirtschaftliche Produktion im vierten Quartal. Alle inländischen Verwendungskomponenten wiesen Rückgänge gegenüber dem Vorquartal auf. Ausgeglichen wurde dies durch eine Verbesserung des Außenbeitrags, die allerdings nicht nur aus einem Anstieg der Exporte, sondern auch aus einem Rückgang der Importe als Folge der schwachen inländischen Nachfrage resultierte. Im ersten Quartal 2010 dürfte die Produktion allenfalls mäßig ausgeweitet worden sein. Ausschlaggebend hierfür ist vor allem ein deutlicher Einbruch der Bauproduktion infolge des strengen und langen Winters. Allerdings sehen wir darin nur einen vorübergehenden Dämpfer. Der Auftragseingang stieg im Januar 2010 kräftig, vor allem der aus dem Inland, und die Industrieproduktion wurde erneut ausgeweitet, wenn auch nur leicht. Ferner sind die Erwartungen in der Wirtschaft weiterhin gut. Stabilisierend auf die Konjunktur dürfte wirken, dass sich die Lage am Arbeitsmarkt in Anbetracht der Tiefe des Konjunktureinbruchs nur wenig verschlechtert hat. Zudem werden die Einkommen auch 2010 durch höhere Transfers und geringere Abgaben gestützt. Kaufkraft entzogen wird den Konsumenten allerdings durch die im Vergleich zum Sommer 2009 wieder höhere Teuerung infolge der gestiegenen Rohstoffpreise. Für den Prognosezeitraum erwarten wir eine nur zögerliche Konjunkturbelebung. Einen kräftigeren Aufschwung verhindern mehrere Faktoren. Da aufgrund der unterausgelasteten Kapazitäten in allen Industrieländern die Investitionen generell schwach bleiben dürften, kommt die Stärke der deutschen Wirtschaft auf dem Gebiet der Investitionsgüter vorerst kaum zum Tragen. Zudem dürfte die Wirtschaftspolitik ihren Expansionsgrad reduzieren, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern. Schließlich sind die Probleme im Finanzsektor keineswegs ausgestanden. Da erfahrungsgemäß in der Spätphase von Rezessionen die Forderungsausfälle der Banken steigen, wird deren Möglichkeiten zur Kreditvergabe weiter eingeschränkt. Zudem dürften durch die Rezession die Reserven vieler Unternehmen aufgezehrt sein, so dass deren Möglichkeiten zur Innenfinanzierung gesunken sind und sich deren Kreditwürdigkeit verringern wird. Vor diesem Hintergrund erwarten wir, dass das BIP im Durchschnitt dieses Jahres lediglich um 1,4% steigen wird. Die Impulse kommen vorerst im Wesentlichen vom Außenbeitrag. Für den Jahresverlauf ist eine leichte Belegung der Ausrüstungsinvestitionen zu erwarten, da Ende 2010 die degressive Abschreibung ausläuft und manche Unternehmen Investitionen vorziehen werden. Die Bauinvestitionen bleiben voraussichtlich leicht rückläufig, und auch vom privaten Konsum dürfte – ungeachtet der fiskalischen Impulse – kaum eine Belebung ausgehen, da die Löhne voraussichtlich kaum steigen werden, die Beschäftigung wohl weiter sinken wird und die Renten nicht angehoben werden. Im kommenden Jahr dürften bei steigender, wenn auch immer noch niedriger Kapazitätsauslastung die Investitionen etwas stärker zulegen und sich der Export weiter erholen. Die privaten Konsumausgaben werden voraussichtlich leicht ausgeweitet, wenn sich die Lage am Arbeitsmarkt stabilisiert. Wir prognostizieren eine Zunahme des BIP um 1,6%, wobei sich die Expansion im Jahresverlauf etwas beschleunigen dürfte. Die Lage am Arbeitsmarkt wird sich erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2011 verbessern, da die Unternehmen bei nur langsam steigender Kapazitätsauslastung wohl zunächst ihre personellen Überhänge verringern werden. Da indes die Demographie den Arbeitsmarkt weiter entlastet, der Strukturwandel zu Gunsten des Dienstleistungssektors sich fortsetzen dürfte und die Tarifpolitik auf Arbeitsplatzsicherung bedacht ist, ist ein nur geringer Anstieg der Arbeitslosenquote auf 8,3% in diesem Jahr und 8,5% im kommenden Jahr wahrscheinlich. Der Preisauftrieb bleibt bei alle-dem wohl moderat. Wir erwarten eine Inflationsrate von 0,8% bzw. 1,1%. Die Lage der öffentlichen Haushalte wird sich in diesem Jahr voraussichtlich weiter verschlechtern und das Budgetdefizit des Staates von (2009) 79 Mrd. € auf 125 Mrd. € steigen (Defizitquote: 3,3 bzw. 5,0%). Für das kommende Jahr haben wir unterstellt, dass die Finanzpolitik mit der Konsolidierung beginnen und die strukturelle Defizitquote um 0,7%-Punkte reduzieren wird. Unter dieser Voraussetzung ist mit einem Rückgang des Fehlbetrags in den öffentlichen Haushalten auf 115 Mrd. € bzw. der Defizitquote auf 4,6% zu rechnen. Die Wirtschaftspolitik kann und sollte ihren expansiven Kurs, mit dem sie auf die Rezession reagierte, nicht auf Dauer durchhalten. Eine große Herausforderung stellt für sie ihre Exit-Strategie dar. Die Geldpolitik hat bereits begonnen, die „nicht-konventionellen“ Maßnahmen, mit denen sie die Liquiditätsversorgung der Finanzmärkte sicherstellte, zurückzufahren. Sie dürfte, wenn sich die Expansion festigt, ihre Leitzinsen allmählich anheben. Die Finanzpolitik lässt derzeit offen, wann und wie sie die Konsolidierung des Staatshaushalts einleitet. Dabei ist die Zielrichtung klar: Ab dem Jahr 2016 gilt die Schuldenbremse und das strukturelle Defizit des Bundes darf dann höchstens 0,35% des BIP erreichen. Je später man damit beginnt, dieses Ziel anzustreben, desto härter sind die dann erforderlichen Einschnitte.

Döhrn, R., G. Barabas, H. Gebhardt, T. Kitlinski, M. Micheli, T. Schmidt, S. Vosen and L. Zimmermann (2010), Die wirtschaftliche Entwicklung im Inland: Expansion gewinnt nur langsam an Fahrt. RWI Konjunkturberichte, 61, 1, 37-96

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