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RWI Konjunkturberichte

2010

Roland Döhrn, György Barabas, Heinz Gebhardt, Tobias Kitlinski, Martin Micheli, Torsten Schmidt, Simeon Vosen, Lina Zimmermann

Die wirtschaftliche Entwicklung im Inland: Aufschwung verliert an Fahrt

Die deutsche Wirtschaft expandierte im ersten Halbjahr 2010 unerwartet kräftig, das reale BIP lag saisonbereinigt um 1,7% höher als im Halbjahr zuvor. Dazu trugen sowohl die Auslands- als auch die Inlandsnachfrage bei. Die Anlageinvestitionen wurden nach dem kräftigen Einbruch im Vorjahr spürbar ausgeweitet und die Bauinvestitionen sowie der Staatsverbrauch stiegen auch aufgrund der Konjunkturprogramme. Außerdem füllten wohl viele Unternehmen ihre Lager wieder auf. Belebt hat sich auch der private Konsum, der zuletzt vom Arbeitsmarkt Impulse erhielt. Die Ausfuhren belebten sich deutlich, weil der Welthandel den tiefen Einbruch des vergangenen Jahres inzwischen wieder wettgemacht hat. Alles in allem befindet sich Deutschland zwar in einem Aufschwung, jedoch ist die Lage bei weitem nicht so günstig, wie dies die überraschend kräftige Zunahme des BIP im zweiten Quartal vermuten lässt. Zu dieser haben zahlreiche Sonderfaktoren wie die Konjunkturprogramme, aber auch die Witterung beigetragen. Weder die Produktion noch die Auftragseingänge haben schon das vor der Finanzkrise beobachtete Niveau erreicht. In den Sommermonaten stagnierte die Industrieproduktion nahezu. Vor diesem Hintergrund und aufgrund der weltweit schwächeren Expansion erwarten wir, dass der Aufschwung an Fahrt verliert. Die Inlandsnachfrage dürfte moderat, allerdings stetig ausgeweitet werden. Bei allmählich steigender Kapazitätsauslastung und anhaltend niedrigen Zinsen ist mit einer weiteren Zunahme der Ausrüstungsinvestitionen zu rechnen. Auch die Konsumnachfrage dürfte zum Wachstum beitragen, wenn auch nur ein leichter Anstieg zu erwarten ist. Die Baukonjunktur hingegen wird wohl durch das Auslaufen des Investitionsprogramms und die schlechte Finanzlage der Kommunen gedämpft. Von der Außenwirtschaft geht ein geringerer Wachstumsbeitrag aus. Insgesamt erwarten wir eine Zunahme des BIP um 3,4% in diesem und um 2,2% im kommenden Jahr. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird sich dabei voraussichtlich weiter verbessern und die Zahl der Arbeitslosen im Verlauf von 2011 unter 3 Mill. sinken. Der Beschäftigungsanstieg dürfte sich fortsetzen, wenn auch langsamer. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass die Kurzarbeit bis Ende 2011 unter das Niveau vor der Rezession fällt. Da zudem das Arbeitsangebot aus demographischen Gründen weiter sinken wird, prognostizieren wir einen Rückgang der Arbeitslosenquote auf jahresdurchschnittlich 7,7% bzw. 7,3%. Bei alledem bleibt die Teuerung wohl moderat. Zwar dürften die erhöhten Rohstoff- und Energiepreise nach und nach an die Verbraucher weitergegeben werden und die administrierten Preise wegen höherer Gebühren und Abgaben stärker steigen. Bei noch schwach ausgelasteten Kapazitäten bleiben die Überwälzungsspielräume in vielen Bereichen aber gering. Wir erwarten daher eine nur moderate Erhöhung der Inflation auf 1,1% bzw. 1,5%. Die staatliche Defizitquote wird im Jahr 2010 aufgrund der expansiven Ausrichtung der Finanzpolitik von 3% auf 3,9% in Relation zum BIP steigen. Die Lage der Staatsfinanzen würde sich damit zwar weiter verschlechtern, infolge der insgesamt günstigeren Konjunktur aber deutlich weniger als bislang angenommen. Im kommenden Jahr ist bei dem angekündigten Einschwenken auf einen Konsolidierungskurs mit einem Rückgang der Defizitquote auf 3,0% zu rechnen. Dass Deutschland die Rezession aus heutiger Perspektive glimpflicher überstanden hat als viele andere Länder, ist auch den Weichenstellungen der Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre zu verdanken. Die Reformen des Arbeitsmarktes dürften wesentlich zu der robusten Beschäftigung beigetragen haben. Auch befanden sich die öffentlichen Haushalte vor der Rezession in einer relativ guten Verfassung, so dass die Fehlbeträge aufgrund des Konjunktureinbruchs vergleichsweise wenig zunahmen und nicht das alarmierende Niveau anderer Länder erreichten. Dies sind gute Argumente dafür, weder in dem Bemühen um flexible Arbeitsmärkte noch bei der Haushaltskonsolidierung nachzulassen.

Döhrn, R., G. Barabas, H. Gebhardt, T. Kitlinski, M. Micheli, T. Schmidt, S. Vosen and L. Zimmermann (2010), Die wirtschaftliche Entwicklung im Inland: Aufschwung verliert an Fahrt. RWI Konjunkturberichte, 61, 2, 37-82

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