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Energiepolitik braucht Realismus – nicht Wunschdenken

Kommentar von RWI-Präsident Christoph M. Schmidt und Energieökonom Manuel Frondel zum bevorstehenden Energiewende-Monitoring der Bundesregierung

Mehr Augenmaß bei der Energiewende

Das von der Bundesregierung beauftragte Energiewende-Monitoring ist eine große Chance für mehr Augenmaß in der Energiepolitik. Deutschland wird auf Dauer zwar zweifellos mehr erneuerbare Energien und mehr Strom benötigen. Doch darf man die Realität dabei nicht aus dem Auge verlieren: Seit 2018 ist der jährliche Stromverbrauch von rund 550 auf knapp 500 Milliarden Kilowattstunden gefallen – vor allem, weil die Industrie­produktion eingebrochen ist. An den zur Zeit der Energiekrise 2022 willkürlich gesetzten Ausbauzielen festzuhalten, ignoriert diese Entwicklung. Sie sollten daher unbedingt der aktuellen Lage angepasst werden.

Politischen Ausbauzielen fehlt ökonomische Basis

Gerade die Ausbauziele im Erneuerbare-Energien-Gesetz zeigen, wie wenig Realitätssinn in der Planung steckt. Für 2030 wurde die Kapazität der Windkraft an Land auf 115 Gigawatt festgeschrieben – fast doppelt so viel wie 2022. Bei der Photovoltaik sind sogar 215 Gigawatt vorgesehen, ebenfalls eine Verdopplung der heutigen Kapazität von rund 108 Gigawatt. Diese Vorgaben beruhen jedoch nicht auf ökonomischen Analysen, sondern wurden politisch gesetzt. Dabei wächst die Photovoltaik ohnehin schon rasant: Der jährliche Zubau ist inzwischen mehr als doppelt so hoch wie beim ersten Solarboom vor gut zehn Jahren.

Überschussstrom aufgrund fehlender inländischer Nachfrage und Stromspeicher

Die Folgen dieser Zielvorgaben sind bereits heute sichtbar. Der massive Ausbau der Photovoltaik führt an sonnigen Tagen regelmäßig zu Überschussstrom – während passende Stromspeicher und eine ausreichende Nachfrage fehlen. Dennoch wird die Produktion von Solar- und Windstrom dank Einspeisevergütungen belohnt, auch wenn der Strom gar nicht gebraucht wird. Immer häufiger drückt das die Preise an der Strombörse ins Negative, um zusätzliche Nachfrage aus dem Ausland anzulocken. Denn um den Extremfall eines Blackouts auszuschließen, müssen Stromangebot und -nachfrage jederzeit im Gleichgewicht sein.

Negative Strompreise nehmen stark zu

Die Dimension dieses Problems wird immer deutlicher. Im Jahr 2024 gab es bereits 457 Stunden mit negativen Strompreisen – rund die Hälfte mehr als im bisherigen Rekordjahr 2023 (301 Stunden). Hinzu kamen 62 Stunden mit einem Preis von exakt null, mehr als doppelt so viele Stunden wie im Vorjahr. Und in 2025 steuern wir schon jetzt auf einen neuen Höchstwert zu: Bis Ende Juni wurden 389 Stunden mit negativen Preisen gezählt – fast 75 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum 2024.

Deutschland zahlt drauf – andere Länder profitieren

Für Deutschland wird das zunehmend zum Minusgeschäft. Denn die Differenz zwischen den garantierten Einspeisevergütungen und den tatsächlichen Börsenpreisen tragen die Steuerzahler. Je öfter die Preise ins Negative rutschen, desto teurer wird es für sie. Gleichzeitig profitiert das Ausland doppelt: Es nimmt überschüssigen Strom ab – und bekommt dafür bei negativen Preisen sogar noch Geld, statt etwas dafür zahlen zu müssen.

Energiewende droht gesellschaftliche Akzeptanz zu verlieren

Dieses Beispiel macht deutlich, dass die bisherige Energiepolitik in eine Sackgasse führt. Nicht der Wille zum Klimaschutz fehlt, sondern der richtige Ansatz. Kleinteilige Ausbauvorgaben für Wind und Photovoltaik treiben die Kosten unnötig in die Höhe – für Stromverbraucher wie für Steuerzahler. Der fehlende Respekt vor volkswirtschaftlichen Zusammenhängen birgt die Gefahr, die Gesellschaft zu spalten und die Akzeptanz der Energiewende zu untergraben. Hier ist ein Kurswechsel nötig.

Das energiepolitische Dreieck wieder ins Gleichgewicht bringen

Klimaschutz bleibt zentral – aber er darf nicht allein im Fokus stehen. Versorgungssicherheit und bezahlbare Energie sind ebenso wichtig, wenn die gesellschaftliche Zustimmung für die Transformation zur Nachhaltigkeit erhalten bleiben soll. Die neue Bundesregierung sollte deshalb den Ausbau der Erneuerbaren enger mit dem stockenden Netzausbau und dem Bau fehlender Speicher verzahnen. Willkürliche Planziele des EEG 2023 für einzelne Technologien gehören gestrichen, weil sie Wohlstand gefährden und unnötig die Kosten treiben. Das eigentliche Ziel von 80 Prozent grünem Strom bis 2030 wird dadurch nicht infrage gestellt – im Gegenteil: Es bleibt erreichbar, da der tatsächliche Strom­verbrauch ohnehin niedriger liegt als frühere Prognosen angenommen hatten.

Die Energiewende kann nur gemeinsam mit den Menschen gelingen, nicht gegen sie: Es muss der Wirtschafts-, Energie- und Klimapolitik im Interesse der Bürgerinnen und Bürger gelingen, bei der Abwägung gesellschaftlicher Ziele eine angemessene Balance zu halten. Realismus ist dafür die beste Grundlage.

Ihre Ansprechpartner dazu:

Dr. Niels Oelgart (Kommunikation), niels.oelgart@rwi-essen.de, Tel.: (0201) 8149-213  

Alexander Bartel (Kommunikation), alexander.bartel@rwi-essen.de, Tel.: (0201) 8149-354

Pressefoto von Prof. Dr. Dr. h. c. Christoph M. Schmidt zum Download (Quellenangabe: Sven Lorenz/RWI)

Pressefoto von Prof. Dr. Manuel Frondel zum Download (Quellenangabe: Sven Lorenz/RWI)

Über das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung:
Das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung ist ein führendes Zentrum für wirtschaftswissenschaftliche Forschung und evidenzbasierte Politikberatung in Deutschland und Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Die Forschung des RWI wird durch einen international besetzten wissenschaftlichen Beirat kritisch begleitet. Zudem wird das Institut regelmäßig durch den Senat der Leibniz-Gemeinschaft evaluiert. Die Forschungsarbeiten des RWI basieren auf neuesten theoretischen Konzepten und moderne empirischen Methoden.