Gewalttätige deutsche Ehemänner
Die Diskussion über die Neigung zu Gewalttaten je nach Herkunft der Tatverdächtigen ist hoch sensibel. Umso wichtiger ist es zu verstehen, dass statistische Angaben zwar mathematisch korrekt sein können, aber gleichwohl nicht neutral und objektiv sind. Denn die Art, wie sie kommuniziert werden, liefert einen Kontext, der vom Nutzer der Statistik mitinterpretiert wird. Das wird als „Framing“ bezeichnet und passiert mindestens genauso oft unbewusst wie bewusst. Ein wesentlicher Teil von Statistik-Kompetenz bzw. Statistical Literacy ist es, ein solches Framing zu erkennen und kritisch zu hinterfragen.
Zahlen ohne Grundraten können falschen Eindruck vermitteln
Die Aussage „zwei von drei Tatverdächtigen häuslicher Gewalt sind deutscher Herkunft“ wird nicht nur von der Tageschau, sondern auch von anderen Medien getroffen, darunter die FAZ . Sie ist korrekt, genauso wie die Aussage, einer von drei Tatverdächtigen sei ausländischer Herkunft. Sie beantwortet die Frage, wie häufig eine Person, die einer Gewalttat innerhalb einer Beziehung verdächtigt wird, deutscher oder nicht-deutscher Herkunft ist.
Diese Information kann interessant sein, wenn es darum geht zu entscheiden, wie hoch der Bedarf an Dolmetschern bei der Polizei ist; insbesondere an Dolmetschern, die sensibel genug sind, mit möglicherweise verängstigten oder gar traumatisierten Frauen zu sprechen.
Sie sagt aber nichts darüber aus, ob sich das Risiko, Opfer einer Gewalttat innerhalb einer Beziehung zu werden, für Frauen mit einem deutschen oder ausländischen Partner unterscheidet. Dafür brauchen wir die Grundrate, also die Verteilung deutscher und ausländischer (Ehe-)Partnerschaften in Deutschland. Der Einfachheit halber gehen wir davon aus, dass diese der allgemeinen Verteilung von Deutschen und Nicht-Deutschen in der Bevölkerung entspricht, Deutsche und Ausländer also gleich häufig in Beziehungen leben. Der Anteil der Ausländer in der deutschen Bevölkerung beträgt etwa 15 Prozent.
Natürliche Häufigkeiten helfen bei der Risikobewertung
Man kann sich das Verhältnis dieser Risiken mit Hilfe natürlicher Häufigkeiten herleiten. Für natürliche Häufigkeiten haben wir schon oft eine Lanze gebrochen; sie argumentieren mit absoluten Zahlen und nicht mit schwer vorstellbaren und oft missverständlichen Prozentwerten.
In Deutschland gab es laut Angaben der „Bundeszentrale für politische Bildung“ im Jahr 2019 etwas mehr als 40 Millionen Menschen, die mit oder ohne Trauschein in Partnerschaften zusammenlebten. Die eingangs genannten, gut 140.000 Fälle sind etwa 0,35 Prozent dieser Menschen. Unter je 100.000 Menschen, die in Partnerschaften leben, erwarten wir 85.000 Deutsche und 15.000 Ausländer. Von diesen 100.000 Menschen sind bei einer Quote von 0,35 Prozent 350 Tatverdächtige einer Gewalttat, darunter 233 (2/3) Deutsche und 117 (1/3) Ausländer. Die folgende Abbildung in natürlichen Häufigkeiten zeigt, wie sich daraus das Risikoverhältnis berechnen lässt. Es beträgt 233/85.000 zu 117/15.000 und damit etwa 1 zu 2,8.
Das Risiko, Opfer einer Gewalttat innerhalb einer Beziehung zu werden, ist mit einem ausländischen Partner/einer ausländischen Partnerin also 2,8mal höher. Zu beachten ist, dass hierbei wohl auch sozio-ökonomische Faktoren eine Rolle spielen, beispielsweise Bildungsniveau oder Einkommen. Die unterschiedliche Rate von Gewalt in Beziehungen kann also auf Grundlage der vorliegenden Informationen keineswegs kausal mit der Herkunft verknüpft werden. Zudem ist bei häuslicher Gewalt die Dunkelziffer recht hoch – nach Bundesfamilienministerin Lisa Paus beträgt sie etwa zwei Drittel. Nichtsdestotrotz bildet die Aussage, dass zwei von drei Tatverdächtigen häuslicher Gewalt deutsche Staatsangehörige sind, die Wirklichkeit nur unvollständig ab. Ein solches Framing von Statistiken, in dem wie in diesem Beispiel die Grundrate vernachlässigt wird, ist nichts Neues. Wichtig ist, dafür sensibilisiert zu sein und zu verstehen, wie man es durchschauen kann.
Das Unstatistik-Team wünscht friedliche Feiertage.
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Neu erschienen: „Grüne fahren SUV und Joggen macht unsterblich – Über Risiken und Nebenwirkungen der Unstatistik“, das zweite Unstatistik-Buch (ISBN 9783593516080), erhältlich im Buchhandel zum Preis von 22 Euro.
Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de und unter dem Twitter-Account @unstatistik. Unstatistik-Autorin Katharina Schüller ist zudem Mit-Initiatorin der „Data Literacy Charta“, die sich für eine umfassende Vermittlung von Datenkompetenzen einsetzt. Die Charta ist unter www.data-literacy-charta.de abrufbar.
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