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Irreguläre Migration: Neue RWI-Studie zur Wirksamkeit der geplanten Bund-Länder-Maßnahmen

Ein zentrales Element der im Herbst 2023 beschlossenen Verschärfung der deutschen Asylpolitik ist es, Migration von Menschen ohne Aussicht auf Bleiberecht nach Europa und Deutschland zu reduzieren. Eine neue RWI-Studie untersucht die Wirkung ausgewählter Maßnahmen des Bund-Länder-Beschlusses auf Migrationsabsichten potenzieller Migranten in Senegal. Die Befragung zeigt, dass nur ein Teil der Befragten über Details des europäischen Asylverfahrens informiert ist und Asylleistungen nur selten als Grund für die Wahl eines Einwanderungslands angegeben werden. Von verschiedenen abgefragten Maßnahmen reduziert in einem hypothetischen Auswahlexperiment nur die Verlagerung des Asylverfahrens in ein außereuropäisches Land wie Ruanda oder Tunesien die Absicht zur irregulären Migration deutlich, eine Bezahlkarte beispielsweise nicht. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die Beschlüsse für eine wichtige Gruppe von Migranten aus Sub-Sahara Afrika wahrscheinlich nur bedingt wirksam sind, um irreguläre Migration kurzfristig zu reduzieren.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Im November 2023 einigten sich Bund und Länder auf Änderungen von Asyl-Regularien, die unter anderem irreguläre Migration eindämmen sollen. Eine neue RWI-Studie untersucht die Wirkung ausgewählter Maßnahmen des Bund-Länder-Beschlusses auf Migrationsabsichten potenzieller Migranten in Senegal in einer Befragung mit knapp 1000 Männern im Alter von 18 bis 40 Jahren in vier senegalesischen Städten. Senegal ist eines der afrikanischen Länder, in denen irreguläre Ausreisen mit Ziel Europa im vergangenen Jahr besonders stark angestiegen sind.
  • Die Befragung zeigt, dass nur ein Teil der Befragten über Details des europäischen Asylverfahrens informiert ist und Asylleistungen nur selten als Grund für die Wahl eines Einwanderungslands angegeben werden. Auf die Frage nach ihrem bevorzugten Migrationsziel in Europa und nach den Gründen für ihre Wahl gaben nur 11 Prozent der Befragten an, dass staatliche Leistungen eine Rolle spielen, weit nach Gründen wie Arbeitsmöglichkeiten und der Anzahl der Senegalesen oder anderer Migranten, die sich bereits in einem bestimmten Zielland befinden. 
  • Die in der Öffentlichkeit zuletzt kontrovers diskutierte Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerberleistungen hat keinen Einfluss auf die gemessenen Migrationsabsichten. Auch die Verkürzung der Bearbeitungszeiten für Asylanträge hat in der Studie keinen messbaren Einfluss auf irreguläre Migrationsabsichten.
  • Die Verdopplung der Wartezeit von 18 auf 36 Monate, bis Asylbewerber Anspruch auf sogenannte Analogleistungen (Sozialhilfe bzw. Bürgergeld) haben, hat nur einen geringen, negativen Effekt auf die irreguläre Migrationsabsicht, und keinen Effekt bei den ärmsten Personen und denjenigen, die besonders motiviert sind, international zu migrieren.
  • Die Verlagerung des Asylantragsverfahrens in ein Drittland wie Tunesien oder Ruanda reduziert die irreguläre Migrationsabsicht von 3,8 auf 2,7 auf einer Skala von 0 ("nicht interessiert") bis 10 ("sehr interessiert").
  • Für die Studie wurden die Befragten in einem sogenannten Auswahlexperiment mit zufällig zugewiesenen, hypothetischen Asylbedingungen entsprechend dem Bund-Länder-Beschluss konfrontiert. Alle Ergebnisse beruhen auf Aussagen zu Migrationsabsichten bezüglich hypothetischer Asylpolitikmaßnahmen – reales Migrationsverhalten wird in der Studie nicht beobachtet. Der Zusammenhang zwischen veränderten Absichten und Verhaltensänderungen ist zwar unklar, dennoch ermöglicht die Betrachtung von Migrationsabsichten eine Annäherung.

„Unsere im Senegal durchgeführte Studie ist die bisher einzige, die sich konkret auf die Ende 2023 beschlossenen Maßnahmen bezieht und wissenschaftliche Erkenntnisse zu deren möglichen Auswirkungen bereitstellt“, sagt RWI-Evaluationsexpertin Maximiliane Sievert. „Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass kein schneller Abschreckungseffekt von den einzelnen Maßnahmen der Bund-Länder-Kommission bezüglich der Migration aus dem Senegal zu erwarten ist. So können wir beispielsweise in unserer Studie keine Wirkung der Bezahlkarte auf Migrationsabsichten messen. Die Auslagerung des Asylprozesses in ein Drittland könnte die irreguläre Migration möglicherweise verringern. Solche Lösungen werfen allerdings grundlegende politische und normative Fragen auf, die als solche behandelt werden müssen. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass darauf dringend Antworten gefunden werden müssen.“

Ihr/e Ansprechpartner/in dazu:

Dr. Maximiliane Sievert, Tel.: (0201) 81 49-323, maximiliane.sievert@rwi-essen.de

Alexander Bartel (Kommunikation), Tel.: (0201) 81 49-354, alexander.bartel@rwi-essen.de

Dieser Pressemitteilung liegt das Ruhr Economic Paper #1071 „Is Intent to Migrate Irregularly Responsive to Recent German Asylum Policy Adjustments?“ von Bernd Beber, Cara Ebert und Maximiliane Sievert zugrunde.