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Gemeinschaftsdiagnose: Folgen der US-Immobilienkrise belasten Konjunktur

Im Frühjahr 2008 wird die Weltkonjunktur von der Krise des Immobilien- und des Finanzsektors in den USA und den von ihr ausgelösten weltweiten Finanzmarktturbulenzen überschattet. Die USA stehen am Rande einer Rezession, in Westeuropa hat sich die Konjunktur etwas abgekühlt, und in Japan nimmt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nur noch schwach zu. Gleichwohl ist das weltwirtschaftliche Expansionstempo immer noch beträchtlich, vor allem, weil die Produktion in den Schwellenländern bis zuletzt kräftig stieg...

Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2008

Der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose gehören an:

ifo Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München
in Kooperation mit:
KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich

Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel

Institut für Wirtschaftsforschung Halle
in Kooperation mit:
Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung und
Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung

Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung
bei der Mittelfristprognose in Kooperation mit:
Institut für Höhere Studien Wien

Zusammenfassung

Im Frühjahr 2008 wird die Weltkonjunktur von der Krise des Immobilien- und des Finanzsektors in den USA und den von ihr ausgelösten weltweiten Finanzmarktturbulenzen überschattet. Die USA stehen am Rande einer Rezession, in Westeuropa hat sich die Konjunktur etwas abgekühlt, und in Japan nimmt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nur noch schwach zu. Gleichwohl ist das weltwirtschaftliche Expansionstempo immer noch beträchtlich, vor allem, weil die Produktion in den Schwellenländern bis zuletzt kräftig stieg.

Für den Prognosezeitraum ist ein weiteres Nachlassen der weltwirtschaftlichen Expansion zu erwarten. Die Krise auf den US-Finanzmärkten und die weltweiten Finanzmarktturbulenzen belasten die Konjunktur. Sie führen zu Vermögensverlusten der privaten Haushalte, die den Konsum dämpfen, besonders deutlich in den USA. Vor allem aber verschlechtern sich die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und Haushalte. Beeinträchtigt wird die weltwirtschaftliche Entwicklung derzeit zudem dadurch, dass sich der Preisauftrieb in den vergangenen Monaten erheblich beschleunigt hat. Neben dem anhaltenden Anstieg der Rohölpreise haben sich vor allem Nahrungsmittel massiv verteuert. Weltweit führt dies zu einem Entzug von Kaufkraft der privaten Haushalte zugunsten der Produzenten von Rohstoffen und Nahrungsmitteln.

In dieser Situation sieht sich besonders die Geldpolitik großen Herausforderungen gegenüber. Sie muss im Spannungsfeld zwischen Liquiditätsproblemen, konjunktureller Abschwächung und Inflationsgefahren die Balance wahren. Vordringlich ist gegenwärtig, eine ausreichende Liquiditätsversorgung sicherzustellen; zu diesem Zweck haben die Zentralbanken in den vergangenen Monaten ihr Instrumentarium angepasst. Darüber hinaus haben die Notenbanken unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt: Die US-Notenbank hat angesichts der Rezessionsgefahr ihre Leitzinsen im Winterhalbjahr drastisch gesenkt, während die europäischen Zentralbanken - auch entsprechend den dort bislang weniger trüben konjunkturellen Aussichten - den Inflationsrisiken eine höhere Bedeutung beimessen und ihre Zinsen wenn überhaupt nur wenig gesenkt haben.

Im Prognosezeitraum wird die Weltkonjunktur angesichts der beträchtlichen Belastungen zwar zunächst noch an Fahrt verlieren. Der Verlust an Dynamik wird aber nach Einschätzung der Institute begrenzt bleiben. Dafür sprechen die im Allgemeinen sehr günstige Verfassung der Unternehmen im nichtfinanziellen Sektor, die kräftigen Impulse vonseiten der amerikanischen Wirtschaftspolitik, wo zu der sehr expansiven Geldpolitik eine stimulierende Finanzpolitik hinzu kommt, und die hohe Wachstumsdynamik in den Schwellenländern. Allerdings dämpfen die Probleme in den USA die Aktivität in den übrigen Weltregionen: Über die Weltfinanzmärkte breiten sich Vermögensverluste und die Verschlechterung von Finanzierungsbedingungen aus. Auch werden die schwächer expandierenden Importe der USA die Produktion insbesondere in den mit den USA eng verflochtenen Ländern bremsen. In Westeuropa kommt das Ende des Immobilienbooms in einigen Ländern hinzu. Im Euroraum wirkt darüber hinaus die Aufwertung der Gemeinschaftswährung belastend. Anzeichen für eine Rezession sind hier zwar nicht zu erkennen. Doch wird die Wirtschaft im Euroraum in den Jahren 2008 und 2009 mit einer Rate expandieren, die unterhalb derjenigen des längerfristigen Trends liegt.

Die Schwellenländer werden vor allem über den Außenhandel von der schwächeren Konjunktur in den Industrieländern betroffen. Ihre Finanzmärkte haben sich hingegen bisher als recht robust erwiesen, auch wenn die Aktienkurse in einigen Ländern in den vergangenen Monaten gesunken sind. Der Finanzmarktstabilität in den Schwellenländern kommt zugute, dass sie insgesamt netto Kapital exportieren und inzwischen über hohe Währungsreserven verfügen. Alles in allem wird der Produktionsanstieg in den Schwellenländern 2008 und 2009 zwar gedämpft, er wird aber beachtlich bleiben.

Das Bruttoinlandsprodukt der Welt dürfte in diesem Jahr mit 2,7 % merklich langsamer als in den vergangenen Jahren zulegen. Im Jahr 2009 dürften die expansiven Kräfte allmählich wieder die Oberhand gewinnen; im Jahresdurchschnitt nimmt die Weltproduktion allerdings voraussichtlich noch nicht deutlich rascher zu. Der Welthandel steigt sowohl in diesem Jahr als auch im nächsten Jahr wohl nur in mäßigem Tempo. Der Prognose liegt ein Erdölpreis von 98 Dollar pro Barrel (Brent) für dieses und von 100 Dollar für nächstes Jahr zugrunde sowie die Erwartung, dass sich der Anstieg der Nahrungsmittelpreise abschwächt. Bei diesen Annahmen werden sich die Inflationsraten im Verlauf des Prognosezeitraums zurückbilden.

Das größte Abwärtsrisiko für die Weltkonjunktur bildet die Krise im Immobilien- und Finanzsektor in den USA. Es ist kaum abzusehen, wie weit die Immobilienpreise und Aktienkurse noch fallen und wann sie ihren Tiefpunkt erreichen werden. Auch sind weitere Liquiditätskrisen großer Finanzinstitute denkbar, mit erheblichen negativen Folgen für die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und Haushalte. Die amerikanische Wirtschaftspolitik zeigt sich zwar entschlossen, erhebliche Mittel zur Eindämmung der Krise bereitzustellen, es besteht allerdings die Gefahr, dass ihre Maßnahmen nicht so gut wie in früheren Abschwüngen greifen. In diesem Fall wären ein Abgleiten der US-Wirtschaft in eine ausgeprägte Rezession und eine deutlich schwächere Entwicklung in der übrigen Welt zu erwarten.

In Deutschland ist die wirtschaftliche Lage bis zum Frühjahr 2008 trotz einer Reihe widriger Einflüsse günstig geblieben, und die Konjunktur dürfte mit viel Schwung in das Jahr gestartet sein. Anders als in vielen anderen Industrieländern halten sich die Stimmungsindikatoren auf hohem Niveau; die Kennziffern für Nachfrage und Produktion sind in der Tendenz weiter aufwärts gerichtet. Dies ist bemerkenswert vor dem Hintergrund der zahlreichen negativen Schocks, die in jüngster Zeit auftraten. Neben der im vergangenen Jahr restriktiven Finanzpolitik waren es vor allem die kräftige Aufwertung des Euro, die massive Verteuerung von Erdöl und Nahrungsmitteln sowie die Folgen der US-Immobilienkrise.

Offenbar ist die deutsche Wirtschaft in den vergangenen Jahren robuster geworden. Die Gefahr einer Rezession ist deshalb heute geringer. So hat sich das Wachstum des Produktionspotentials in den vergangenen Jahren beschleunigt. Darüber hinaus hat sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Ferner gibt es in Deutschland keine Übersteigerungen auf dem Immobilienmarkt, so dass eine Korrektur, die in anderen Ländern die wirtschaftliche Aktivität dämpft, nicht ansteht. Und schließlich erweist sich das deutsche Bankensystem vor dem Hintergrund der internationalen Krise im Finanzsektor als relativ robust. Alles in allem ist als Folge der kräftigen Schocks zwar eine spürbare Verlangsamung der konjunkturellen Expansion zu erwarten; ein Abgleiten in eine Rezession halten die Institute jedoch für wenig wahrscheinlich.

Im Verlauf des Jahres 2007 verringerte sich die konjunkturelle Dynamik gegenüber dem kräftigen Tempo zuvor, die gesamtwirtschaftliche Kapazitätsauslastung blieb aber hoch. Der Aufschwung wurde bis zuletzt von den Unternehmensinvestitionen getragen, die von den anhaltend günstigen Ertrags- und Absatzaussichten im In- und Ausland angeregt wurden. Die Verschlechterung der monetären Rahmenbedingungen infolge der Finanzmarktturbulenzen hat sich bislang offenbar kaum auf die Investitionstätigkeit ausgewirkt. Die zweite Stütze der Konjunktur bildeten die Exporte. Schwachpunkt des Aufschwungs waren nach wie vor die privaten Konsumausgaben, die sich auch im vergangenen Jahr nicht belebten.

Für eine nach wie vor positive Grundtendenz der Konjunktur spricht die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Bis zum März dieses Jahres ist die Zahl der Arbeitslosen spürbar gesunken, die Arbeitslosenquote belief sich auf 7,8 %; das sind 1,5 Prozentpunkte weniger als vor einem Jahr. Die Zahl der Erwerbstätigen ist weiter kräftig gestiegen, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat sogar besonders deutlich zugenommen. Das positive Bild der wirtschaftlichen Lage wird jedoch getrübt durch die hohe Inflationsrate. Der Anstieg der Verbraucherpreise lag in den ersten Monaten dieses Jahres bei rund 3 %.

Während die deutsche Konjunktur mit viel Schwung in das Jahr 2008 gestartet ist, werden sich im weiteren Verlauf dieses Jahres jedoch die negativen außenwirtschaftlichen Einflüsse zunehmend bemerkbar machen. Insbesondere wird sich die Dynamik der Ausfuhr deutlich verringern. Hingegen wird die Inlandsnachfrage etwas rascher expandieren als im vergangenen Jahr. Die privaten Konsumausgaben werden nach der lang anhaltenden Flaute spürbar ausgeweitet. Die Unternehmensinvestitionen hingegen dürften nicht mehr so rasch expandieren wie in den beiden Vorjahren, zumal sich die Absatzaussichten im Ausland eintrüben und die Kostenbelastung etwas steigt.

Die gesamtwirtschaftliche Produktion wird i Jahr 2008 voraussichtlich um 1,8 % zunehmen. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt dürfte günstig bleiben, doch wird sich der Rückgang der Arbeitslosigkeit im Jahresverlauf spürbar verlangsamen. Im Jahr 2008 dürfte die Zahl der Arbeitslosen um rund 560 000 auf etwa 3,2 Millionen abnehmen. Die Inflationsrate wird sich allmählich zurückbilden, da der Auftrieb bei den Nahrungsmittelpreisen nachlässt. Die Verbraucherpreise werden im Jahr 2008 um 2,6 % über dem Niveau im Vorjahr liegen.

Im kommenden Jahr dürfte sich die konjunkturelle Expansion etwas verstärken. Dabei ist unterstellt, dass die Nervosität an den Finanzmärkten allmählich schwindet und sich deshalb die Zinsen auf dem Geldmarkt zurückbilden werden. Zudem wird die Weltwirtschaft etwas rascher expandieren, so dass auch die deutschen Exporte mehr Schwung entfalten werden. Die Zuwachsrate des realen Bruttoinlandsprodukts wird im Jahr 2009 1,4 % betragen. Im Zuge der Erholung wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt nur geringfügig bessern, doch wird die Zahl der Arbeitslosen erstmals seit dem Jahr 1991 im Jahresdurchschnitt unter die Marke von 3 Millionen sinken.

Die Konjunkturprognose ist mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet. So lassen sich die Auswirkungen der Krise im Finanzsektor nur schwer abschätzen, weil das Ausmaß der nötigen Abschreibungen immer noch nicht bekannt ist und weil es unsicher ist, wie stark die Immobilienpreise in den USA noch fallen werden. Simulationen mit Modellen, welche die Institute verwenden, ergeben, dass eine Rezession in Deutschland wahrscheinlich wäre, wenn sich die Kapitalnutzungskosten in den USA und auch in Deutschland deutlich erhöhten.

Erstmals haben die Institute im Rahmen ihres Gutachtens eine Projektion für die mittlere Frist vorgelegt. Die Perspektiven sind durchwachsen: Im Zeitraum 2007 bis 2012 dürfte das reale Bruttoinlandsprodukt um durchschnittlich 1 1/2 % pro Jahr zunehmen.

In der Wirtschaftspolitik wird derzeit diskutiert, ob ein Konjunkturprogramm ähnlich wie in den USA aufgelegt werden sollte, um der konjunkturellen Schwäche entgegenzuwirken. Zwar ist es denkbar, dass eine antizyklische Finanzpolitik erfolgreich ist, doch sind die Bedingungen hierfür in der Praxis kaum erfüllt. So gibt es erhebliche Probleme, Maßnahmen so zeitgerecht zu beschließen und umzusetzen, dass sie tatsächlich in der Schwächephase und nicht erst in der Erholungsphase greifen. Daher sollte die Bundesregierung auf ein Konjunkturprogramm verzichten.

Im Interesse von mehr Wachstum und Beschäftigung sollte die Finanzpolitik eine Strategie der "qualitativen Konsolidierung" verfolgen. In jüngster Zeit mehren sich jedoch die Anzeichen, dass der Kurs, die Staatsausgaben nur moderat auszuweiten, nicht fortgesetzt wird. Damit wird die Chance vergeben, das Wirtschaftswachstum zu fördern, beispielsweise durch Aufstockung von investiven Ausgaben. Wenn zudem in der Politik kein Spielraum für allgemeine Steuersenkungen gesehen wird, sollten nach Auffassung der Institute zumindest "heimliche" Steuererhöhungen vermieden werden.

Diskutiert wird derzeit die Einführung von flächendeckenden Mindestlöhnen bzw. die Ausdehnung branchenspezifischer Lösungen auf weitere Sektoren. Auf Deutschland bezogen besteht ein weitgehender Konsens unter den Ökonomen, dass die Beschäftigungswirkungen negativ sind. Zur Begründung für die "Notwendigkeit" von Mindestlöhnen wird häufig argumentiert, man könne von einem niedrigen Stundenlohn nicht leben. Dieses Argument greift allerdings zu kurz, da es das System der sozialen Sicherung ausblendet, insbesondere das Arbeitslosengeld II. Es verhindert, dass das Einkommen unter das soziale Existenzminimum sinkt. Auch ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn, der zunächst so niedrig ist, dass er "nicht schadet", kann letztlich die Beschäftigung erheblich beeinträchtigen. Zwar wird gegenwärtig ein Stundenlohn von "nur" 4,50 Euro diskutiert. Aber damit würde man der Politik ein Instrument an die Hand geben, das zunehmend in Wahlkämpfen eine Rolle spielen dürfte; daher ist zu befürchten, dass der Mindestlohn nicht niedrig bleibt.

Mit einer Abkehr von Reformen auf dem Arbeitsmarkt und mit der Einführung von Mindestlöhnen würde insbesondere die Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre konterkariert. Tatsächlich wird sich der Anstieg der Tariflöhne in diesem und wohl auch im kommenden Jahr verstärken. Zwar geht die Zunahme noch nicht über das Maß hinaus, das durch den Verteilungsspielraum gegeben ist, doch gehen von den Löhnen im kommenden Jahr kaum noch Impulse auf die Beschäftigung aus. Auch wegen dieses Risikos sollte die Bundesregierung die Arbeitsmarktreformen fortsetzen und die Lohnfindung nicht durch Eingriffe in die Tarifautonomie beeinträchtigen. Dies wäre der beste Beitrag für mehr Beschäftigung und mehr Wachstum.

Die Europäische Zentralbank stand in den vergangenen Monaten vor besonders großen Herausforderungen. Sie hat bei ihren Maßnahmen klar getrennt zwischen der Bereitstellung von Liquidität einerseits, um die Stabilität des Finanzmarktes zu gewährleisten, und den Erfordernissen andererseits, die sich für die Geldpolitik aus stabilitätspolitischer Sicht im eigentlichen Sinne ergeben. In jüngster Zeit hat sich die Inflation im Euroraum überraschend stark beschleunigt. Nach wie vor ist das Risiko groß, dass sich die Inflationserwartungen verfestigen und sich beispielsweise in höheren Lohnforderungen niederschlagen. Vor dem Hintergrund ihrer Prognose für die Konjunktur und für die Inflation halten es die Institute für angemessen, dass die EZB den Leitzins bei 4 % belässt.

Zur Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns und zur Diagnose der Kräfte, die den Aufschwung herbeigeführt haben, vertritt das Konsortium IWH/IMK/WIFO im Gutachten eine andere Meinung.

Die Langfassung als pdf-Datei