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Gemeinschaftsdiagnose: Erholung setzt sich fort – Risiken bleiben groß

Im Frühjahr 2010 schreitet die Erholung der Weltwirtschaft voran, die Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 wird allmählich überwunden. Allerdings ist das Tempo der Expansion in den einzelnen Weltregionen sehr unterschiedlich. In einigen Schwellenländern, vor allem in Asien, ist es ausgesprochen hoch, und vereinzelt besteht sogar die Gefahr einer konjunkturellen Überhitzung. Dagegen ist in den Industrieländern die Auslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten weiterhin gering. Hier hat sich die Erholung ...

Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2010

Der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose gehören an:

ifo Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München
in Kooperation mit:
KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich

Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel

Institut für Wirtschaftsforschung Halle
in Kooperation mit:
Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung und
Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung

Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung
bei der Mittelfristprognose in Kooperation mit:
Institut für Höhere Studien Wien

Zusammenfassung

Im Frühjahr 2010 schreitet die Erholung der Weltwirtschaft voran, die Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 wird allmählich überwunden. Allerdings ist das Tempo der Expansion in den einzelnen Weltregionen sehr unterschiedlich. In einigen Schwellenländern, vor allem in Asien, ist es ausgesprochen hoch, und vereinzelt besteht sogar die Gefahr einer konjunkturellen Überhitzung. Dagegen ist in den Industrieländern die Auslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten weiterhin gering. Hier hat sich die Erholung noch nicht gefestigt, sondern wird nach wie vor maßgeblich von der expansiven Wirtschaftspolitik getragen.

Von der verhältnismäßig frühen und kräftigen Erholung von Produktion und Nachfrage in den asiatischen Schwellenländern gingen im Jahr 2009 spürbare Impulse auf die Industrieländer aus, deren reale Außenbeiträge auch deshalb merklich stiegen. Zwar war es auch in den Schwellenländern im Herbst 2008 zu einem Einbruch der Produktion gekommen, der teilweise sogar ausgesprochen heftig ausfiel. Doch zeigt sich nun, dass die Auswirkungen der Finanzkrise den mittelfristigen Wachstumspfad aufgrund zumeist solider Finanzsektoren und eines allgemein günstigen makroökonomischen Umfeldes in den Schwellenländern insgesamt offenbar nur wenig verändert haben. Insofern kann durchaus von einer Abkopplung wichtiger Schwellenländer von der Entwicklung in den Industrieländern gesprochen werden.

Denn in den Industrieländern sind immer noch die Nachwehen der Finanzkrise spürbar. Die Situation an den Finanzmärkten in Europa und in den USA, die sich im Sommerhalbjahr 2009 deutlich entspannt hatte, hat sich seither nur noch wenig verbessert; nennenswerte Anregungen gehen von dieser Seite zur Zeit nicht aus. Zudem mehren sich an den Finanzmärkten inzwischen Sorgen um die Staatsfinanzen. Die Finanzinvestoren sehen derzeit zwar nur für einzelne, zumeist kleinere Länder erhebliche Insolvenzrisiken. Doch nimmt die Staatsverschuldung gegenwärtig fast überall stark zu, und so muss die Wirtschaftspolitik in den Industrieländern auf mittlere Sicht im Zeichen der Haushaltskonsolidierung stehen. Die Folgen der Finanzkrise dämpfen wohl noch einige Zeit die Ausgabebereitschaft der privaten Haushalte und der Unternehmen, besonders dort, wo der Finanz- und der Immobiliensektor in eine strukturelle Krise geraten sind. Aber auch in Ländern, die wie Japan oder Deutschland in der Krise vor allem durch das Wegbrechen der Exporte betroffen waren, dürfte sich die Produktion nur langsam von den im Zuge der Krise erlittenen schweren Einbußen erholen.

So wird die konjunkturelle Dynamik in den Industrieländern in diesem und im nächsten Jahr voraussichtlich gering sein. Bei der verhaltenen wirtschaftlichen Expansion wird sich die Lage am Arbeitsmarkt nur sehr allmählich bessern. In den USA bleibt die Konjunktur in der Grundtendenz im Prognosezeitraum zwar aufwärts gerichtet, doch wird sich die wirtschaftliche Expansion nach der kräftigen Ausweitung im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres zunächst spürbar verlangsamen. Der Euroraum wird wohl auch in diesem und im nächsten Jahr ein konjunktureller Nachzügler sein; einige Länder, in denen die desolate Lage der öffentlichen Finanzen die Regierungen zu einem scharfen Konsolidierungskurs zwingt, werden sogar in der Rezession verharren. Recht kräftig bleibt hingegen voraussichtlich die wirtschaftliche Expansion in den Schwellenländern. Alles in allem wird die Weltproduktion 2010 um 2,9 % und 2011 um 2,7 % zunehmen. Der Welthandel wird im Verlauf dieses Jahres und im nächsten Jahr mit einer Rate von voraussichtlich 6 ½ % in etwa so rasch steigen wie im längerfristigen Mittel. Das Preisklima dürfte bei alledem ausgesprochen ruhig bleiben, wenngleich die Inflationsraten infolge der gestiegenen Ölpreise 2010 etwas höher ausfallen werden als im vergangenen Jahr.

In Deutschland ist die wirtschaftliche Erholung im Winterhalbjahr 2009/2010 vorübergehend ins Stocken geraten. Allerdings kommen darin vorwiegend temporäre Faktoren zum Ausdruck. In der Grundtendenz dürfte die Konjunktur nach dem tiefen Einbruch infolge der Finanzkrise weiterhin aufwärtsgerichtet sein. Die Auftragseingänge sind zu Jahresbeginn kräftig gestiegen, und die Ausfuhren erholen sich weiter. Auch blicken die Unternehmen zuversichtlich in die Zukunft. Die wieder günstigere Stimmung lässt sich zudem daran ablesen, dass die Unternehmen ungeachtet der zuletzt schwächeren Produktion den Personalbestand sogar bereits wieder leicht ausweiten.

Von der Wirtschaftspolitik dürften im Prognosezeitraum gegenläufige Wirkungen auf die Konjunktur ausgehen. Die EZB wird nach Einschätzung der Institute ihre expansive Zinspolitik beibehalten und wird sich vorerst darauf beschränken, die außergewöhnlichen Maßnahmen zur Liquiditätsversorgung zurückzunehmen. Die Finanzpolitik hingegen gibt zwar in diesem Jahr der Konjunktur noch spürbare Anregungen. Da die Stimulierungsprogramme aber auslaufen und erste Schritte zur Konsolidierung des Staatshaushalts zu erwarten sind, wirkt sie ab dem kommenden Jahr dämpfend.

Vor diesem Hintergrund erwarten die Institute, dass sich die Belebung der Konjunktur zwar fortsetzt, dass sie aber moderat verlaufen wird. Getrieben wird die Erholung weiterhin von den Exporten, die in der Rezession unerwartet stark eingebrochen waren. Sie profitieren von der lebhaften Expansion insbesondere in den Schwellenländern. Aber auch die Inlandsnachfrage belebt sich. So dürften die privaten Konsumausgaben bei wieder steigenden real verfügbaren Einkommen moderat ausgeweitet werden, und die Ausrüstungsinvestitionen fassen langsam wieder Tritt. Alles in allem dürfte das reale Bruttoinlandsprodukt im Jahresverlauf wie auch im Jahresdurchschnitt 2010 um 1,5 % steigen. Im kommenden Jahr wird die Inlandsnachfrage weiter verhalten expandieren. Das reale Bruttoinlandsprodukt wird im Jahresdurchschnitt 2011 voraussichtlich um 1,4 % zunehmen.

Der Arbeitsmarkt hat sich seit Beginn der Rezession als erstaunlich robust erwiesen. Diese unerwartet günstige Entwicklung resultiert vor allem aus zwei Effekten: Erstens horten die Unternehmen, begünstigt durch die Förderung der Kurzarbeit und die flexiblere Gestaltung vieler Tarifverträge, in beträchtlichem Maße Arbeitskräfte. Zweitens profitiert der Arbeitsmarkt in der Grundtendenz immer noch von der Lohnmoderation in den vergangenen Jahren. Die Erwerbstätigkeit dürfte in diesem Jahr noch leicht sinken. Die Arbeitslosigkeit wird gleichwohl geringfügig abnehmen, da das Erwerbspersonenpotential aufgrund der demografischen Entwicklung zurückgeht. Für 2011 ist mit einer Stagnation der Erwerbstätigkeit und mit einer weiteren Abnahme der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Die Arbeitslosenquote (in der Abgrenzung der Bundesagentur für Arbeit) dürfte von 8,1 % im Jahr 2010 auf 7,9 % im Jahr 2011 sinken. Die Verbraucherpreise werden nur moderat steigen, die Inflationsrate wird in diesem Jahr 0,9 % und im kommenden Jahr 1,0 % betragen.

Die Lage der öffentlichen Haushalte wird sich weiter verschlechtern. Die Defizitquote dürfte 2010 auf 4,9 % steigen. Im kommenden Jahr ist mit einem Rückgang der Quote auf 4,2 % zu rechnen, insbesondere weil die Konjunkturprogramme auslaufen und erste Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung ergriffen werden dürften.

Die Risiken für die Konjunktur bleiben groß. Diese resultieren zum Teil aus dem weltwirtschaftlichen Umfeld. Zudem ist die Lage im Bankensektor nach wie vor schwierig, auch wenn die Kreditrestriktionen zuletzt nicht weiter verschärft wurden. Jedoch können an den Finanzmärkten immer wieder Probleme auftreten, z.B. wenn aufgrund der hohen Defizite Zweifel an der Solvenz mancher Staaten aufkommen.

Infolge der Wirtschaftskrise haben sich auch die mittelfristigen Aussichten für die deutsche Wirtschaft verschlechtert, das Bruttoinlandsprodukt wird in den kommenden Jahren spürbar niedriger sein, als vor der Krise erwartet wurde. Erstens ist das Produktionspotential in Deutschland wohl niedriger als zuvor geschätzt, zweitens dürfte sich die Produktion dem Trend nur langsam annähern. Die Institute erwarten, dass das Produktionspotential im Zeitraum 2009 bis 2014 um 1 % pro Jahr zunimmt. Die wirtschaftliche Erholung in Deutschland dürfte sich nach 2011 leicht beschleunigt fortsetzen. Gleichwohl wird das reale Bruttoinlandsprodukt nach dem scharfen Einbruch im vergangenen Jahr erst 2013 das Niveau aus dem Jahr 2008 erreichen. Am Ende des Projektionszeitraums wird dann die Lücke zwischen der laufenden Produktion und dem Produktionspotential geschlossen.

Die Finanzpolitik in Deutschland sollte im Jahr 2011 auf einen Konsolidierungskurs einschwenken. Voraussichtlich wird sich die konjunkturelle Lage dann so weit gefestigt haben, dass die Erholung durch einen Sparkurs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt würde, das ein Rückfall in eine Rezession bedeuten könnte. Kritisch ist zu sehen, dass die Bundesregierung trotz der Vorgaben und der eigenen Ankündigungen nicht erklärt hat, wie sie die Haushaltskonsolidierung gestalten will. Entsprechende Pläne will sie erst im Juni dieses Jahres vorlegen.

Die Institute haben – damit die Konsolidierung das Wachstum und die Beschäftigung möglichst wenig beeinträchtigt – wiederholt empfohlen, eine „qualitative“ Konsolidierung zu betreiben, d.h. den Anstieg der Staatsausgaben eng zu begrenzen und sie dabei zugunsten der Aufwendungen für Investitionen in Humankapital und Sachkapital umzuschichten. Der Sparkurs ist also auf die so genannten konsumtiven Ausgaben und die Finanzhilfen zu konzentrieren. Daneben sollten Steuervergünstigungen abgebaut werden.

Die EZB verfügt über einen hohen Vertrauensvorschuss. Auch deshalb hat ihre expansive Ausrichtung bisher nicht zu einem Anstieg der Inflationserwartungen geführt; diese sind immer noch nahe des Stabilitätsziels der EZB verankert. Da die Kapazitätsauslastung im Prognosezeitraum gering bleiben wird, drohen von dieser Seite keine Inflationsgefahren. Daher erwarten die Institute, dass die EZB ihren Leitzins im Prognosezeitraum unverändert lassen wird.

Die aktuelle Lage im Euroraum macht wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf vor allem in drei Bereichen deutlich. Erstens liegt der Schlüssel für den Abbau der Leistungsbilanzdefizite bei den Defizitländern, zumal sich zumindest in Spanien und in Griechenland die Salden im Warenhandel auch gegenüber Ländern außerhalb des Euroraums deutlich verschlechtert haben. Die Defizitländer müssen ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit steigern, um ihre Exporte zu erhöhen oder Importe zu substituieren.

Zweitens sind die Institute – was die Lösung von Finanzierungsproblemen einzelner Länder betrifft – der Auffassung, dass der IWF hierbei eine wichtige Rolle einnehmen sollte. Er kann glaubwürdiger als eine EU-Einrichtung drohen, dass Finanzhilfen bei Nichtbefolgung von Auflagen nicht erfolgen und verfügt daneben über große Erfahrungen bei der Organisation von Rettungsprogrammen für Staaten. Allerdings muss bei einer Einbindung des IWF sichergestellt sein, dass die Unabhängigkeit der Geldpolitik im Euroraum nicht über Finanzhilfen für Mitgliedsstaaten bzw. entsprechende Auflagen des IWF gefährdet wird. In diesem Sinne sind auch die Erklärungen des Europäischen Rates vom 25. März 2010 und der Länder des Euroraums vom 11. April 2010 zu verstehen. Dort wird als „ultima ratio“ bei mangelnder Finanzierung des griechischen Staatshaushalts über den Kapitalmarkt ein Paket aus Krediten des IWF und koordinierten bilateralen Krediten der Mitgliedsländer der Währungsunion in Aussicht gestellt. Allerdings widerspricht eine solche Hilfe dem Geist des Vertrags von Maastricht. Um die Funktionsfähigkeit der Währungsunion nicht weiter zu beschädigen, halten die Institute es für entscheidend, dass die Überwachung der in den Erklärungen eingeforderten Konditionalität und die damit verbundene Entscheidung über die Freigabe weiterer Tranchen beim IWF liegt. Zudem darf dies nicht der Einstieg in eine Transferunion sein.

Drittens geht es um die Einhaltung des Regelwerks in der Währungsunion, denn die aktuellen Probleme resultieren auch daraus, dass sich viele Länder in den vergangenen Jahren nicht an die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts gehalten haben. Über die Jahre wurde deutlich, dass die Europäische Kommission nicht in der Lage ist, die Einhaltung der Regeln durchzusetzen. Daher ist der Teil der Erklärung des Europäischen Rats vom 25. März 2010 zu begrüßen, der eine Stärkung des europäischen Regelwerks vorsieht.

Die Langfassung als pdf-Datei