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RWI Konjunkturberichte

2009

Roland Döhrn, György Barabas, Heinz Gebhardt, Tobias Kitlinski, Torsten Schmidt, Simeon Vosen

Die wirtschaftliche Entwicklung im Inland: Weltweite Finanzkrise verursacht historischen Konjunktureinbruch

Die deutsche Wirtschaft befindet sich derzeit in einer tiefen Rezession. Im letzten Vierteljahr 2008 sank das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 2,1% gegenüber dem Vorquartal. Das Minus resultiert vor allem aus einer Verschlechterung des Außenbeitrags; die Exporte gingen um 7,3% und damit doppelt so stark zurück wie die Einfuhren. Die inländische Verwendung war nur leicht rückläufig, weil viele Unternehmen den Nachfragerückgang durch eine Erhöhung ihrer Lagerbestände abfederten. Die Ausrüstungsinvestitionen hingegen sanken deutlich. Damit ist die Finanzkrise – entgegen manchen Hoffnungen – stärker auf Deutschland durchgeschlagen als auf die meisten übrigen Länder des Euro-Raums. Für das erste Quartal lassen die vorliegenden Indikatoren einen erneut kräftigen Rückgang der Wirtschaftsleistung erwarten. Vor diesem Hintergrund dürfte das BIP in diesem Jahr um 4,3% fallen, so stark wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Der prognostizierte Rückgang wäre noch weitaus dramatischer, wäre nicht eine Gegenbewegung im zweiten Quartal 2009 nach unserer Einschätzung wahrscheinlich, unter anderem weil Teile des Konjunkturpakets der Bundesregierung – die Umweltprämie und der Kinderbonus – die Inlandsnachfrage vorübergehend stimulieren und weil der Produktionseinbruch zuletzt wohl auch dadurch überzeichnet wurde, dass viele Unternehmen zur Jahreswende ihre Betriebsferien verlängerten. Da von der Weltwirtschaft vorerst keine größeren Impulse zu erwarten sind und die Investitionsschwäche sich wohl fortsetzt, gehen wir davon aus, dass das BIP im zweiten Halbjahr 2009 weiter sinken wird. Anregend auf die Konjunktur wirkt auch die hauptsächlich aufgrund der gesunkenen Rohstoff preise rückläufige Teuerung. Die Inflationsrate dürfte 2009 im Jahresdurchschnitt lediglich 0,4% betragen nach 2,6% im Jahr 2008. Dies stärkt die Kaufkraft der Verbraucher. Zudem steigt eine Reihe von Transfers. Gedämpft wird die Konsumnachfrage hingegen dadurch, dass im Verlauf des Jahres 2009 die Beschäftigung voraussichtlich spürbar zurückgeht. Zwar dürfte die Zahl der Kurzarbeiter deutlich stärker steigen als in früheren Rezessionen. Jedoch erwarten wir, dass im Verlauf dieses Jahres rund 1,2 Mill. Arbeitsplätze in Deutschland verloren gehen und die Zahl der Arbeitslosen um 1,1 Mill. steigt. Die Erfahrung zeigt, dass Wirtschaftkrisen, die ihren Ursprung im Bankensektor haben, besonders zäh sind und lange dauern. Wenn sich die Lage am Finanzmarkt beruhigt, stehen allerdings die Zeichen dafür nicht schlecht, dass sich die Konjunktur im Verlauf von 2010 allmählich beleben wird. Nicht zuletzt dürften die umfangreichen Konjunkturprogramme zahlreicher Länder die Weltwirtschaft stimulieren, und bei den Investitionen könnte es im Jahresverlauf zu einem Umschwung kommen, weil manche Unternehmen die nur bis Ende 2010 geltenden günstigeren Abschreibungsregeln nutzen wollen. Alles in allem erwarten wir, dass das BIP 2010 um 0,5% höher sein wird als 2009. Allerdings bleibt die Expansion im Jahresverlauf unterhalb des Wachstums des Produktionspotenzials. Die Wirtschaftspolitik kämpft derzeit an zwei Fronten. Sie versucht, zum einen die Finanzmärkte, zum anderen die Konjunktur zu stabilisieren, um eine Abwärtsspirale zu verhindern. Dabei ist in der derzeitigen außergewöhnlichen Situation eine expansive Finanzpolitik angebracht, zumal zu befürchten ist, dass die Geldpolitik aufgrund der Probleme des Bankensektors nicht in der gewohnten Weise wirkt. In Deutschland gibt die Finanzpolitik einen kräftigen Impuls. So schätzen wir, dass der Rückgang des BIP durch das Konjunkturpaket II in diesem Jahr um 0,5%-Punkte und 2010 um 0,3%-Punkte gebremst wird. Durch die beiden Konjunkturpakete, weitere diskretionäre Maßnahmen, aber auch aufgrund der automatischen Stabilisatoren erwarten wir einen Anstieg der Defi zitquote auf 3,5% im laufenden und 4,7% im kommenden Jahr – mit der Konsequenz kleiner werdender Handlungsspielräume für die Finanzpolitik. Die Politik muss deshalb dafür Sorge tragen, dass die Staatsverschuldung nach Überwindung der Krise nicht weiter steigt und die Haushaltskonsolidierung wieder in Angriff genommen wird. Die vorgeschlagene Schuldenbremse weist in die richtige Richtung, wenngleich im Haushaltsvollzug erst bewiesen werden muss, ob sie funktioniert.

Döhrn, R., G. Barabas, H. Gebhardt, T. Kitlinski, T. Schmidt and S. Vosen (2009), Die wirtschaftliche Entwicklung im Inland: Weltweite Finanzkrise verursacht historischen Konjunktureinbruch. RWI Konjunkturberichte, 60, 1, 35-89

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