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ECB Observer

2003

Ansgar Belke, Wim Kösters, Martin Leschke, Thorsten Polleit

Challenges to ECB Credibility

Teil 1: Grundlagen der EZB-Glaubwürdigkeit Das Preisstabilitätsversprechen der EZB wird seit ihrem Bestehen von den Marktakteuren als glaubwürdig angesehen. Dieser Erfolg kann zu einem wesentlichen Teil dem institutionellen Rahmen der europäischen Geldpolitik zugeschrieben werden. Hierzu zählen z. B. die Unabhängigkeit der EZB, die Vorgabe des Ziels Preisstabilität und die Vorgaben des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes („Pakt“). Der Erhalt der Glaubwürdigkeit steht jedoch vor Herausforderungen: Die strukturelle Wachstumsschwäche, hohe Arbeitslosigkeit und unsolide Staatsfinanzen laufen Gefahr, den Konsens für eine preisstabilitätsorientierte Geldpolitik zu unterspülen. Insbesondere die wieder steigende Staatsverschuldung in einer Reihe von Ländern ist auf Dauer ein ernstes Bedrohungspotential für die Stabilität des Euro. Es ist daher von überaus großer Wichtigkeit, dass die Staaten am Pakt festhalten und ihre Anstrengungen zur Reform der Produkt- und Faktormärkte, die eine Verbesserung der Wachstumsaussichten versprechen, nicht nur beibehalten, sondern auch intensivieren. Part 2: EZB-Strategierevision – das Problem der “offenen Flanke” Ein wichtiges Ergebnis der Revision der EZB-Strategie war die de facto Abwertung der monetären Säule. Vor dem Hintergrund, dass (i) die EZB ohnehin ihre Zinspolitik primär an der laufenden Inflation und (ii) ihre Inflationsprojektionen auf Basis realwirtschaftlicher Variablen und nicht an monetären Größen erstellt, erscheint das Ergebnis der Strategierevision zunächst logisch. Aber die Ratio der Strategieneuordnung wird nicht durch die empirischen Befunde rationalisiert. Die Geldmenge M3 – gemessen anhand des „Price Gap“ oder „Real Money Gap“ – besitzt nach wie vor herausragende Qualitäten zur Prognose der Inflation im Euroraum. Sie „outperformed“ z. B. das „Output-Gap“. Es wäre daher rational gewesen, wenn die EZB die Rolle der Geldmenge gestärkt und nicht geschwächt hätte. Solange die Geldnachfrage stabil ist und sich das Price Gap als ein valider Inflationsindikator erweist, sollte die EZB diese Größe – zusammen mit anderen Variablen – zur Erstellung ihrer Inflationsprojektionen verwenden und auch ihre Zinspolitik verstärkt an der Veränderung des Price Gap ausrichten. Die neugeordnete Strategie könnte zum einen die „offene Flanke“ der Bank gegenüber politischem Druck vergrößern und zum anderen einer verstärkt diskretionären Geldpolitik Vorschub zu leisten. Dies könnte letztlich der Glaubwürdigkeit der Bank abträglich sein. Part 3: Unsicherheit – Druck für eine Politik des billigen Geldes Im aktuellen Umfeld langsamen Wachstums, das von hoher Unsicherheit begleitet wird, gewinnen Forderungen nach einer noch lockereren Geldpolitik zunehmend an Eigendynamik. Dennoch zeigt unser Modell, das auf der so genannten Theorie des „Optionswerts des Wartens“ beruht, dass der Einfluss der Geldpolitik auf Wachstum und Beschäftigung in einem Umfeld hoher (Ertrags-)Unsicherheit nur stark eingeschränkt zur Geltung kommt. Dieses Ergebnis basiert auf der Existenz von versunkenen Investitionskosten, wie zum Beispiel den Einstellungskosten. Vor dem Hintergrund der gegenwärtig nach wie vor herrschenden Unsicherheit lässt unser Modell mindestens drei Schlussfolgerungen für die Geldpolitik der EZB zu. (1) Zinssenkungen bleiben wirkungslos, solange hohe Unsicherheit fortdauert; (2) durch Zinssenkungen bei hoher Unsicherheit vermindert die EZB den Optionswert des Wartens, wodurch sie ihre Effektivität in zukünftigen Perioden verringert; und (3) eine hektische Geldpolitik der EZB, die sich durch häufige Zinsänderungen auszeichnet, ruft zusätzliche Unsicherheit in der Volkswirtschaft hervor, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die Schwäche der Investitions- und der Konsumgüternachfrage noch verschärft. Part 4: EZB-Geldpolitik: Rück- und Ausblick Die Zinssenkungen der EZB seit Dezember 2002 scheinen vor allem durch die gesunkene Inflation sowie Sorgen über den Konjunkturverlauf im Euroraum motiviert gewesen zu sein. Mittel- bis langfristige Inflationsindikatoren wie z. B. die „reale Geldlücke“ scheinen eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Im Euroraum ist ein Deflationsdruck nicht erkennbar. Die monetäre Ausstattung, gemessen anhand der realen Geldlücke, ist mit mehr als 6 % mittlerweile sogar sehr hoch und repräsentiert ein beträchtliches Inflationspotenzial. Auch die Bankkreditexpansion im Euroraum, die sich seit 2000-Q3 deutlich abgeschwächt hat, steht im Einklang mit der konjunkturellen Situation und lässt auf keine ungewöhnliche Kreditangebotsrestriktion schließen. Es wird weithin erwartet, die EZB werde den Leitzins bis Endes des Jahres auf 1,5 % senken. Mit Blick auf die sehr hohe Liquiditätsausstattung und unsere Inflationsprognose von 1,8 % in 2003 und 2,2 % in 2004 sind jedoch keine weiteren Zinssenkungen zu empfehlen. Im aktuellen Umfeld ist nicht auszuschließen, dass weitere Zinssenkungen nicht die Konjunktur beleben, sondern eine „Asset Price Inflation“ auslösen und zudem auch Anreize für weitere Strukturreformen reduzieren könnten, die letztlich die Wachstumsaussichten im Euroraum schmälern würden.

European Central Bank

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