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Der Impfstoff ist „zu 90 Prozent wirksam“

Ist ein Impfstoff „zu 90 Prozent wirksam“, heißt das nicht, dass 9 von 10 Menschen durch die Impfung vor einer Infektion geschützt werden können. Es bedeutet, dass im Rahmen einer Impfstudie in der geimpften Gruppe 90 Prozent weniger Menschen erkrankt sind als in der Kontrollgruppe.

 

Unstatistik vom 02.12.2020

Die Unstatistik des Monats November befasst sich mit Aussagen zur Wirksamkeit von Corona-Impfstoffen. Die gute Nachricht des Monats dazu kam von BioNTech und Pfizer mit dem vorläufigen Ergebnis, dass ihr Impfstoff gegen Covid-19 „zu 90 Prozent wirksam“ sei. Inzwischen haben BioNTech und andere Hersteller berichtet, dass Impfstoffe gar zu 95 Prozent wirksam seien. Das sind alles erfreuliche Ergebnisse. Aber was bedeutet „zu 90 Prozent wirksam“?

In verschiedenen Medien, darunter Bayerischer Rundfunk und „Berliner Zeitung“,  wurde erklärt „Das heißt, 9 von 10 Menschen können durch die Impfung vor einer Infektion geschützt werden.“ Demnach wäre der Impfstoff bei 90 Prozent aller Menschen, die sich impfen lassen, wirksam. Das würde bedeuten, wenn man alle 83 Millionen Deutschen impft, dann sind davon 90 Prozent geschützt; nur die restlichen 8,3 Millionen können sich anstecken. Das wären aber immer noch weit mehr Erkrankte als es bisher der Fall ist. Also kann das nicht gemeint sein.

Die 90 Prozent beziehen sich nicht auf die Gruppe der Geimpften, sondern auf jene der Erkrankten. BioNTech berichtete, dass insgesamt etwa 43.000 Menschen an der Studie teilnahmen, etwa die Hälfte davon wurde geimpft und die andere erhielt ein Placebo.  Sieben Tage nach der zweiten Dosis gab es insgesamt 94 bestätigte Covid-19 Fälle.  Im Studienprotokoll von Pfizer findet man die Definition der Wirksamkeit: Hierzu wird der Anteil der Covid-19-Fälle in der Impfgruppe dividiert durch den Anteil der Covid-19-Fälle in der Kontrollgruppe. Dieser Wert wird von 1 abgezogen und mit hundert multipliziert, so dass man es bequem in Prozenten ausdrücken kann.  Daraus folgt, es muss in der Impfgruppe 8 Fälle und in der Placebogruppe etwa 86 Fälle gegeben haben, was einer Reduktion von rund 90 Prozent entspricht (bei den 95 Prozent waren es dann 8 versus 162 Fälle).

Angabe bezieht sich auf Anteil an Erkrankten, nicht auf Anteil an Geimpften

Die „zu 90 Prozent wirksam“ bezieht sich also nicht auf 9 von 10 Menschen, die zur Impfung gehen, und auch nicht auf alle Teilnehmer der Studie oder alle Menschen, die sich in Deutschland impfen lassen. Sie ist eine relative Risikoreduktion, die sich auf die Zahl der Erkrankten bezieht, aber keine absolute Reduktion, die sich auf alle Geimpften bezieht.

Der Unterschied zwischen relativer und absoluter Risikoreduktion ist für viele Menschen schwer zu verstehen. Er wird vielleicht am Beispiel der Grippeschutzimpfung für Menschen zwischen 16 und 65 Jahren nochmals klarer. In einer Saison mit geringer Verbreitung des Grippevirus liegt die Wirksamkeit der Grippeschutzimpfung etwa bei 50 Prozent. Diese Zahl bedeutet aber nicht, dass 5 von 10 Geimpften vor der Grippe geschützt sind. Sie bedeutet, wenn beispielsweise in einer Saison von je 100 Personen ohne Impfung zwei eine bestätigte Influenzainfektion bekamen, war es von je 100 Personen mit Impfung nur eine (s. dazu auch die Informationen des Harding-Zentrum für Risikokompetenz). 

Es ist auch wichtig zu verstehen, dass sich die von BioNTech und Pfizer berichteten „zu 90 Prozent wirksam“ auf die Reduktion von Erkrankungen, nicht von schweren Erkrankungen oder gar Todesfällen bezieht. Wir können nur hoffen, dass diese Reduktion in gleichem Maße auf schwere Erkrankungen durchschlägt, aber das wird in den derzeitigen Studien nicht untersucht.

Anm. d. Red.:
Gegenüber der ersten Fassung der Pressemitteilung sind Korrekturen eingefügt. Sie folgen aus der Tatsache, dass in den zitierten Studien nicht Covid-Infizierte, sondern Covid-Erkrankte betrachtet wurden:

  • Statt "Das wären aber immer noch weit mehr Infizierte als es bisher der Fall ist." heißt es am Ende des zweiten Absatzes nun "Das wären aber immer noch weit mehr Erkrankte als es bisher der Fall ist." (18.2. 2021)
  • Statt "Die 90 Prozent beziehen sich nicht auf die Gruppe der Geimpften, sondern auf jene der Infizierten." heißt es nun am Beginn des dritten Absatzes "Die 90 Prozent beziehen sich nicht auf die Gruppe der Geimpften, sondern auf jene der Erkrankten." (18.2. 2021)
  • Statt „Angabe bezieht sich auf Anteil an Infizierten, nicht auf Anteil an Geimpften“ wurde die Zwischenüberschrift korrigiert auf „Angabe bezieht sich auf Anteil an Erkrankten, nicht auf Anteil an Geimpften“ (28.1. 2021)
  • Entsprechend wurde auch im darauffolgenden Absatz geändert von „Sie ist eine relative Risikoreduktion, die sich auf die Zahl der Infizierten bezieht,…“ in „Sie ist eine relative Risikoreduktion, die sich auf die Zahl der Erkrankten bezieht,…“ (28.1. 2021)
  • Im vorletzten Absatz wurde geändert von „Sie bedeutet, dass von je 100 Personen ohne Impfung zwei eine bestätigte Influenzainfektion bekamen, und von je 100 Personen mit Impfung nur eine...“ in „Sie bedeutet, wenn beispielsweise in einer Saison von je 100 Personen ohne Impfung zwei eine bestätigte Influenzainfektion bekamen, war es von je 100 Personen mit Impfung nur eine..." (21.12. 2021)
  • Im letzten Absatz wurde geändert von „Es ist auch wichtig zu verstehen, dass sich die von BioNTech und Pfizer berichteten „zu 90 Prozent wirksam“ auf die Reduktion von Infektionen, nicht von schweren Erkrankungen oder gar Todesfällen bezieht.“ in „Es ist auch wichtig zu verstehen, dass sich die von BioNTech und Pfizer berichteten „zu 90 Prozent wirksam“ auf die Reduktion von Erkrankungen, nicht von schweren Erkrankungen oder gar Todesfällen bezieht.“ (12.4. 2021)

Ansprechpartner/in:

Prof. Dr. Gerd Gigerenzer,                           Tel.  (030) 82406-430
Sabine Weiler (Kommunikation RWI),          Tel.: (0201) 8149-213, sabine.weiler@rwi-essen.de 

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de und unter dem Twitter-Account @unstatistik.

 

Pressemitteilung im pdf-Format