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Der Pfingstmontag ist 8,6 Milliarden Euro wert – ja wirklich?

Immer wieder wird diskutiert, ob weniger Feiertage dem deutschen Bruttoinlandsprodukt einen Schub geben könnten – zuletzt am Beispiel des Pfingstmontags. Manche Schätzungen gehen von bis zu 8,6 Milliarden Euro aus. Die neue "Unstatistik des Monats" Juni fragt: Was ist wirklich dran an solchen Berechnungen? Und wie belastbar sind die Zahlen?

Die Bevölkerungsentwicklung der kommenden Jahre stellt den Arbeitsmarkt Deutschlands vor erhebliche Herausforderungen. Da die Babyboomer in absehbarer Zeit das Ruhestandsalter erreichen werden, wird laut dem Statistischen Bundesamt die Zahl der Menschen im Erwerbsalter bis Mitte der 2030er Jahre um 1,6 Millionen Personen (bei hoher Zuwanderung) bzw. 4,8 Millionen Personen (bei niedriger Zuwanderung) sinken. Eine Möglichkeit, die mit dem Rückgang der Arbeitskräfte verbundenen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt zu bewältigen, besteht darin, dass die verbleibenden Arbeitskräfte mehr arbeiten. Vor diesem Hintergrund haben wir im vergangenen Monat bereits das Narrativ besprochen, die Deutschen seien zu faul. In diesem Monat beschäftigen wir uns mit der im Juni viel diskutierten Frage, wie viel man in Deutschland zusätzlich erwirtschaften könnte, wenn man einen Feiertag streichen würde. In der Diskussion steht dabei insbesondere der Pfingstmontag, dessen Streichung das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) angeblich um bis zu 8,6 Milliarden Euro steigern könnte.

Doch wie kommt man auf diese Zahl? Eine einfache Überschlagsrechnung könnte wie folgt aussehen: Im vergangenen Jahr hatte Deutschland ein BIP von 4,31 Billionen Euro bei 249 Arbeitstagen. Das ergäbe pro Tag 17,3 Milliarden Euro oder 0,4 % des BIP. So einfach ist es jedoch nicht. Die Wirtschaftsleistung schwankt sehr stark über das Jahr. Es kommt also unter anderem darauf an, in welche Jahreszeit der Feiertag fällt. Dies wäre beim Pfingstmontag allerdings kein Problem, da er immer auf einen Montag fällt und frühestens auf den 11. Mai und spätestens auf den 14. Juni fallen kann. Es müsste daher nur geprüft werden, wie hoch der erwartete Effekt eines Arbeitstags im zweiten Quartal ausfällt. Bei der Streichung eines Feiertags sind zudem indirekte Effekte zu berücksichtigen, insbesondere, ob bei der Streichung eines Feiertags ein Brückentag wegfällt. Auch dies wäre beim Pfingstmontag nicht der Fall. Schließlich muss man sich die einzelnen Wirtschaftszweige ansehen und betrachten, wie viel trotz Feiertagen gearbeitet wird, und inwelchem Umfang der Wegfall eines Feiertags nur die gegebene Arbeit gleichmäßiger verteilt. Denn hier würde bei einer Streichung nichts zusätzlich erwirtschaftet. In einigen Wirtschaftszweigen, wie beispielsweise der Gastronomie, dürfte an Feiertagen sogar mehr gearbeitet werden.

Doch woher kommen die 8,6 Milliarden Euro? Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) stellen diese 8,6 Milliarden die Obergrenze einer Schätzung dar, die sich ergibt, wenn man die Annahmen aus einem Gutachten des Sachverständigenrates (SVR) zugrunde legt. Dieser hat sich in der Vergangenheit ausführlich damit befasst, welche finanziellen Auswirkungen die Streichung des Buß- und Bettags für die deutsche Wirtschaft hätte. Dieses Gutachten stammt allerdings aus dem Jahr 1995. Der SVR kommt zu dem Schluss, dass zwei simulierte Szenarien realistisch sein könnten. Sie ergeben für das Jahr 1995 eine hypothetische Steigerung des BIP von bis zu 0,15 Prozent. Rückgerechnet auf das Jahr 1980 wären es bis zu 0,2 Prozent. Und das ausschließlich für Westdeutschland. Im Jahr 2018 waren sich die Wirtschaftsforschungsinstitute einschließlich des IW einig, dass der BIP-Effekt eines zusätzlichen Arbeitstags etwa 0,1 Prozent des BIP betragen dürfte. Dies ist auch die letzte Aussage, die das Statistische Bundesamt Ende 2024 kommuniziert hat. Heute ergäbe das einem Wert von 4,3 Milliarden Euro pro Tag. Somit haben wir eine große Bandbreite der wirtschaftlichen Effekte der Streichung eines Feiertags: irgendwo zwischen 4,3 und 17,3 Milliarden Euro.

Aber auch diese Bandbreite ist wahrscheinlich falsch. Man kann schwerlich Berechnungen der wirtschaftlichen Folgen der Streichung (oder auch Einführung) eines Feiertags aus dem Jahr 1995 auf die heutige Situation übertragen. Nicht zuletzt die Wirtschaftsstruktur und die Arbeitsproduktivität haben sich seitdem erheblich verändert. Wenn man eine seriöse Einschätzung der wirtschaftlichen Effekte der Streichung eines Feiertags haben möchte, müsste man diese neu abschätzen und nicht einfach die historisch ermittelten 0,2% mit dem derzeitigen BIP multiplizieren.
 

Ihre Ansprechpartner dazu:

Prof. Dr. Thomas Bauer, Tel.: (0201) 8149-264, thomas.bauer@rwi-essen.de
Dr. Niels Oelgart (Kommunikation RWI), Tel.: (0201) 8149-213, niels.oelgart@rwi-essen.de


Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de und unter dem Twitter-Account @unstatistik. Unstatistik-Autorin Katharina Schüller ist zudem Mit-Initiatorin der „Data Literacy Charta“, die sich für eine umfassende Vermittlung von Datenkompetenzen einsetzt. Die Charta ist unterwww.data-literacy-charta.deabrufbar.

Weiterführende Literatur: „Grüne fahren SUV und Joggen macht unsterblich – Über Risiken und Nebenwirkungen der Unstatistik“, das zweite Unstatistik-Buch (ISBN 9783593516080), erhältlich im Buchhandel zum Preis von 22 Euro. Es wurde im Oktober 2023 mit dem „getAbstract-International Book Award 2023“ in der Kategorie Business Impact ausgezeichnet. Das Unternehmen getAbstract hat sich auf die Zusammenfassungen von Wirtschaftsbüchern und Klassikern der Weltliteratur spezialisiert und vergibt seine Awards jährlich im Rahmen der Frankfurter Buchmesse. Speziell mit der Bewertung von Risiken beschäftigt sich das Buch „Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft“von Unstatistik-Autor Prof. Dr. Gerd Gigerenzer.

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