RWI in den Medien

Experimente für eine bessere Entwicklungspolitik
Der Nobelpreis für Esther Duflo, Abhijit Banerjee und Michael Kremer scheidet die Geister
FAZ vom 28.10.2019, Gastbeitrag von Jörg Peters
Mit Experimenten die Armut bekämpfen – dieses Versprechen steckt in der
Forschung von Esther Duflo, Abhijit Banerjee und Michael Kremer, den
drei Entwicklungsökonomen, die gerade mit dem Nobel-Gedächtnispreis
ausgezeichnet wurden. Ihre gemeinhin als Randomized Controlled Trials
(RCTs) bezeichnete Methode hat den Anspruch, unter Alltagsbedingungen
herauszufinden, welche Politik wirklich wirkt. Für die
Entwicklungspolitik, der oft vorgeworfen wird, viel Geld für wenig
Wirkung auszugeben, ist dies eine große Chance. Doch hat der
experimentelle Ansatz wirklich zur Armutsreduzierung beigetragen? Daran
gibt es Zweifel.
In Anlehnung an klinische Studien in der Medizin werden in RCTs Menschen
nach dem Zufallsprinzip, also randomisiert, in sogenannte Treatment- und
Kontrollgruppen eingeteilt, leben aber ansonsten weiter ihr normales
Leben. Die Treatmentgruppe erhält statt einer medizinischen Behandlung
eine Politikmaßnahme, etwa einen Kleinkredit oder verbesserte
Düngemittel. Nach einiger Zeit sollen die Unterschiede zwischen den
Gruppen zeigen, welche Auswirkungen die Politik hat. Idealerweise lernen
wir daraus, wie Entwicklungspolitik gestaltet werden soll, damit sie
effektiv Armut bekämpft. Duflo, Banerjee und Kremer sind Pioniere dieser
Methode, die großen Einfluss auf die empirische Wirtschaftsforschung
hatte.
Ein Großteil der Ökonomen rechnet den dreien hoch an, dass sie die
kausale Evaluierung von Entwicklungspolitik zum Mainstream gemacht
haben. Für dieses Lager steht im Vordergrund, dass RCTs dort, wo sie
angewendet werden können, die Effekte der Intervention genau abschätzen.
Anders als in nichtrandomisierten Ansätzen führt die zufällige Zuteilung
dazu, dass zum Beispiel in keiner Gruppe mehrheitlich diejenigen
versammelt sind, die der eingeführten Politik sowieso positiv
gegenüberstehen und sie darum besser annehmen. Der beobachtete
Unterschied lässt sich damit wirklich ursächlich auf die getestete
Maßnahme zurückführen.
Einflussreiche Wissenschaftler wie Angus Deaton, ebenfalls
Nobelpreisträger, oder der ehemalige Forschungsdirektor der Weltbank
Martin Ravallion halten den RCT-Trend für weniger hilfreich. Ein
Kritikpunkt lautet, dass RCTs nur auf randomisierbare Interventionen
angewendet werden. Entwicklungspolitik besteht in der Realität jedoch
häufig aus Maßnahmen, für die das nicht gilt. Ein Großteil der
Entwicklungshilfe und der Budgets afrikanischer Regierungen fließt etwa
in Infrastruktur wie Straßen und Stromleitungen, während sich die
meisten RCTs mit kleinen Maßnahmen beschäftigen. Regierungen und
Hilfsorganisationen äußern entsprechend Kritik, dass RCTs nur bedingt
helfen, ihre Arbeit zu evaluieren.
Der von Banerjee, Duflo und Kremer eingeleitete RCT-Trend hat indes zu
einer Verschiebung der Ressourcen in der empirischen
Entwicklungsforschung geführt: Der Fokus liegt nun auf kleinteiligen
Maßnahmen, die den Großteil entwicklungspolitischer Maßnahmen nicht
widerspiegeln. Statt Stromleitungen werden zum Beispiel kleine
Solarlampen evaluiert. Auch liegen die Gründe für Armut in Ursachen
begründet, deren Behebung ein tieferes Verständnis verlangt, für das
womöglich quantitative Methoden im Allgemeinen nicht der richtige Ansatz
sind. Für junge Forscher, die eine Karriere in der von RCTs dominierten
Wissenschaft anstreben, ist es allerdings kaum eine kluge Strategie, in
andere Methoden zu investieren.
Darüber hinaus sind RCTs bisher den Beweis schuldig geblieben, dass
Maßnahmen, denen sie nach zwei bis drei Jahren eine hohe Effektivität
diagnostizieren, auch bei einer flächendeckenden und langfristigen
Einführung unter Nichttestbedingungen wirksam sind. Dafür gibt es
unterschiedliche Gründe: RCTs werden meist in einer eng abgegrenzten
Region getestet. Außerdem sind es, wie der Name sagt, kontrollierte
Experimente – dabei kann die Kontrolle selbst zu einer Wirksamkeit
führen. Oftmals werden RCTs in institutionell schwachen Ländern in
Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen implementiert, die
wesentlich schlagkräftiger sind als die schlecht organisierten
Regierungen. Bei nicht wenigen RCTs sorgen also die Forscher selbst
dafür, dass die Intervention gut umgesetzt und damit wirksam ist. Die
Preisträger erkennen das selbst an: Was sich unter diesen Umständen als
effektiv erweist, muss es bei einer flächendeckenden Einführung ohne
Einwirkung der Wissenschaft noch lange nicht sein.
Die Arbeit von Duflo, Banerjee und Kremer hat natürlich dennoch einen
nachhaltigen und positiven Einfluss auf die Entwicklungspolitik gehabt.
Duflos und Banerjees Buch ‚Poor Economics' aus dem Jahr 2008 hat eine
Generation von Ökonomen geprägt und vermittelt, dass Menschen unter
Armutsdruck oft auch dann rational agieren, wenn ihr Handeln auf den
ersten Blick unklug erscheint. Vor allem haben sie die Idee unabhängiger
Evaluierung massenwirksam gemacht. Dennoch sollte weder die
wirtschaftswissenschaftliche Profession noch die Entwicklungspolitik
einzig auf RCTs setzen. Wir sollten nicht aufhören, andere Methoden
heranzuziehen und weiterzuentwickeln. Um mit dem ehemaligen
Weltbank-Forschungsdirektor Martin Ravallion zu sprechen: „Unsere
Forschungsfragen und wie wir sie beantworten sollte geleitet werden von
den drängenden Wissenslücken nicht von methodischen Vorlieben der
Wissenschaftler.“